Palast der sinnlichen Traeume
irgendwann nach Biryal zurückkehren musstest. Schließlich bist du der Thronfolger.“
„In gewisser Weise, ja.“ Ein nachdenklicher Ausdruck stahl sich in seine Augen. „Biryal war bis Anfang der Sechzigerjahre britische Kolonie. Als man uns unsere Unabhängigkeit zurückgegeben hat, war mein Vater bereit, König zu werden. Leider hat sich sein Cousin Ghassan des Throns bemächtigt, während mein Vater sich noch in seinem Exil im Jemen befand. Die Briten haben Ghassan unterstützt. Für sie war es einfacher so, sie wollten es nicht auf einen Bürgerkrieg ankommen lassen. Mein Vater blieb im Jemen. Ich bin dort geboren und aufgewachsen.“
Das klingt wie eine Geschichte aus einem Buch oder Film, dachte Lucy. „Wie lange war dein Onkel an der Macht?“
„Zwanzig Jahre … bis er ohne Erben gestorben ist. Dann hat mein Vater endlich seinen rechtmäßigen Thron bekommen.“ Khaled schüttelte den Kopf. „Zu dieser Zeit war er bereits verbittert und misstraute jedem.“ Er hielt kurz inne, sein Blick umwölkte sich, als er sich in der Erinnerung verlor. „Sogar mir.“
„Du meinst, er hatte Angst, du könntest ihn vom Thron stürzen?“
„Oder Rebellen mich entführen und als Druckmittel einsetzen.“ Er zuckte die Schultern. „Ich weiß nicht genau, was mein Vater sich vorgestellt hat. Aber er wollte, dass ich von der Bildfläche verschwinde … deshalb hat er mich auf ein Internat in England geschickt, als ich sieben war. Auch meine Rugbykarriere hat er unterstützt. Alles, um mich von Biryal fernzuhalten.“
„Warum bist du dann zurückgegangen?“, flüsterte sie. Seine anscheinend lieblose Kindheit erschreckte sie sehr.
„Mir war klar, dass ich ohnehin irgendwann zurückkehren musste. Und als ich so schwer verletzt wurde, schien der Zeitpunkt gekommen zu sein.“ Khaled hielt inne und trank einen Schluck Kaffee. Als er wieder sprach, klang seine Stimme zögernd, tastend. „Ein paar Wochen nach meiner Rückkehr erlitt mein Vater einen Herzinfarkt. Es war nur ein leichter Anfall, aber es hat ihm bewusst gemacht, dass er nicht ewig leben wird. Und er begann, in mir seinen Erben, nicht mehr den Thronräuber zu sehen. Also hat er mir einen kleinen Platz in seiner Regierung zugewiesen, und ich habe meine königlichen Pflichten akzeptiert.“ Er stellte seine Kaffeetasse auf den Tisch. „Sollen wir gehen?“
Während sie das Haus verließen und in die Limousine stiegen, war Lucy tief bewegt von dem, was Khaled ihr anvertraut hatte. Es war mehr, als er ihr jemals über sich erzählt hatte. Mehr, als sie ihn je gefragt hatte.
Das Wissen um ihre eigene frühere Ignoranz wühlte sie auf. Sie schaute zu Khaled hinüber, doch er hatte den Kopf abgewandt und blickte aus dem Fenster. Sie ließ ihren Blick über sein Profil wandern, betrachtete die harten Linien, die das Leben eingeprägt hatte.
Wer bist du?
In diesem Moment begann Sam, der zwischen ihnen saß, unruhig auf und ab zu wippen. Den Rest der Fahrt waren seine Eltern damit beschäftigt, ihn abzulenken.
Trotzdem gelang es Lucy, immer wieder einen flüchtigen Blick auf Khaled zu werfen. Eines wurde ihr immer klarer. Sie wollte die Antwort auf ihre Frage wissen.
5. KAPITEL
Sam war, wie immer, begeistert vom Zoo. Er bestand darauf, für Khaled den Führer zu spielen und zog ihn zum Schmetterlingsparadies, zur Regenwaldabteilung und natürlich zu seinem Lieblingsplatz, dem Terrarium mit den Spinnen.
Ein Schauer überlief Lucy, als sie vor dem Glaskasten standen, in dem mehrere besorgniserregend große und haarige Taranteln ein Zuhause gefunden hatten.
„Magst du Spinnen?“, fragte Khaled seinen Sohn, der die Nase gegen die Scheibe presste.
„Die großen“, bestätigte dieser.
„In Biryal gibt es ein paar sehr große Spinnenarten“, erklärte Khaled. „Sie spinnen gelbe Netze, die mehrere Meter messen.“
„Wirklich?“ Sam schaute ihn mit weit aufgerissenen Augen an.
„Keine Sorge“, sagte Khaled lachend, dem keineswegs entgangen war, dass Lucy sich angewidert geschüttelt hatte. „Sie sind harmlos.“
„Mum mag keine Spinnen“, mischte Sam sich ein, griff wieder nach Khaleds Hand und führte ihn zum Gorillagehege.
Am Abend hatten sie den gesamten Zoo mehrfach durchquert und jedem Tier mindestens zwei Besuche abgestattet. Auf der Rückfahrt schlief Sam, den Kopf an Khaleds Schulter gelehnt, völlig erschöpft ein.
„Er mag dich“, sagte Lucy leise.
Khaled lächelte zu seinem Sohn hinunter. „Das freut mich.“
„Mich
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