Palast der sinnlichen Traeume
paar Monaten noch so? Immerhin hat er dir in den letzten Jahren nicht gerade einen Grund gegeben, ihm zu vertrauen.“
„Ich weiß.“ Lucy sah durch das Küchenfenster zu Sam hinaus. „Er ist nicht mehr derselbe Mann wie damals“, sagte sie langsam. „Nicht mehr so sorglos. Das Leben scheint ihn … in die Knie gezwungen zu haben. Und er nimmt seine Verantwortung sehr ernst.“
„Dann ist er erwachsen geworden.“
„Vielleicht.“
Lucy verstand, weshalb ihre Mutter so misstrauisch war. Schließlich hatte Khaled ihre Tochter ebenso verlassen, wie ihr Ehemann sie, Dana, Jahre zuvor.
Tatsächlich erinnerte sich Lucy nur vage an ihren Vater, an ein paar Süßigkeiten, Umarmungen. Und hauptsächlich daran, wie sie stundenlang am Fenster gestanden und auf ihn gewartet hatte …
Und eines Tages war er überhaupt nicht mehr gekommen.
Resolut schob Lucy die traurigen Gedanken beiseite. Dass Khaled wieder ein Teil ihres Lebens war, hatte viel zu viele Gespenster der Vergangenheit geweckt, zu viele Ängste heraufbeschworen.
„Und wie fühlst du dich bei dieser Sache, Lucy?“
„Ich weiß nicht“, gestand sie. „Ich weiß ehrlich nicht, was ich will. Ich dachte, ich will nichts von Khaled, aber warum habe ich ihm dann überhaupt von Sam erzählt?“
„Weil du ein guter Mensch bist“, erwiderte Dana mit Nachdruck. „Du warst der Meinung, er hat ein Recht, es zu erfahren.“
„Ja, aber wenn er dazu ein Recht hat, dann auch eines, eine Rolle in Sams Leben zu spielen“, sagte sie. „Und mittlerweile glaube ich, mir war das die ganze Zeit klar.“
„Und was“, fragte ihre Mutter sanft, „ist mit deinem Leben?“
Lucy wandte den Kopf ab. Das, begriff sie in diesem Moment, war eine Frage, die sie noch nicht bereit war zu beantworten.
Die Limousine hielt vor einem der Reihenhäuser in der schmalen Vorortstraße. Khaleds Herz tat einen Sprung. Heute würde er seinen Sohn treffen. Wie würde er aussehen? Wie sich seine Stimme anhören? Wie würde er sein?
Sam.
Lucy.
Wieder schlich sie sich in seine Gedanken, durchbrach die Barrieren, die er vor vier Jahren so sorgfältig errichtet hatte.
Lucy.
Sie hat sich gar nicht verändert, dachte er. Sie sah noch so aus wie früher. Ihre dunklen glänzenden Haare weckten wie damals in ihm den Wunsch, mit den Händen hindurchzufahren und eine seidige Strähne an seine Lippen zu heben. Jetzt war ihm das verboten und dafür umso verführerischer.
Er liebte die Art und Weise, wie sie die Schultern straffte und das Kinn hob, so stolz und selbstbewusst. Wie ihre dunklen Augen aufblitzten, wenn sie wütend war.
Er hatte es geliebt, ihren weichen Körper an seinen geschmiegt zu fühlen – ein Gefühl, das er seit vier Jahren vermisste. Die Erinnerung quälte ihn, er sehnte sich danach, seine Träume Wirklichkeit werden zu lassen. Sehnsucht war vielleicht ein zu schwacher Ausdruck, Verlangen traf es schon eher.
Der Schmerz in seinem Knie flammte wieder auf – eine beständige Mahnung an seine eigenen Grenzen, seine Schwächen, seine Sterblichkeit. Lucy, schärfte er sich ein, war tabu. Sie musste es sein. Um Sams willen, um seinetwillen.
Um ihretwillen.
Er hatte sie tief verletzt, das wusste Khaled. Er hatte den Schmerz in ihren Augen gesehen und in ihrer Stimme gehört. Erst jetzt erkannte er, dass er sich bislang nie getraut hatte, darüber nachzudenken. Bisher hatte er immer nur daran gedacht, wie viel ihnen beiden durch seine Flucht erspart worden war.
Womit er bei ihrem Wiedersehen nicht gerechnet hatte, war, wie intensiv er sein Verlangen empfinden würde. Er hatte nicht erwartet, sich so schwach zu fühlen, sich so sehr nach ihrer Berührung zu verzehren.
Nach ihrer Liebe.
Wie Lucy wollte er seine Gefühle beiseiteschieben und vergessen, wie sehr er sie geliebt hatte. Allerdings befürchtete er, das könne ihm nicht gelingen.
Als er aus der Limousine stieg und aufs Haus zuging, hörte er einen hellen Aufschrei. Am Fenster zur Straße hin sah Khaled gerade noch einen dunklen Haarschopf, der hinter einem Sofa verschwand. Dann rüttelte jemand ungeduldig von innen am Türknauf.
Das Herz voller Freude bereitete Khaled sich darauf vor, seinen Sohn zu treffen.
Einmal rutschten Lucys Finger von der Klinke, dann schaffte sie es, die Tür zu öffnen. Und da stand er … Khaled.
Warum fühlte es sich plötzlich so vertraut an, ihn zu sehen? Vielleicht lag es an Sams Gegenwart. Oder daran, dass die Dinge sich einfach geändert hatten.
„Hallo, Khaled“,
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