Palast der Stürme
Wochen die neuen Patronen nicht verwenden wollten?«, fragte er in bemüht beiläufigem Ton.
»Ja, Sahib, das sind sie. Das Urteil wird erst in zwei Tagen verkündet, aber wir – ich meinte natürlich, die Männer dort – haben bereits gehört, dass sie zu zehn Jahren Zwangsarbeit verurteilt werden.« Er deutete mit einer Kopfbewegung auf die Männer, die sich leise um das Feuer versammelt hatten.
»Gütiger Himmel!« Collier atmete tief ein. Der Stallbursche zuckte zusammen und starrte Collier mit geweiteten Augen an. Das Feuer in der Ferne warf tanzende Lichter auf seine glatte, dunkle Haut.
»Sahib?«
Collier warf einen Blick über die Schulter auf die geschlossene Tür und wandte dann seine Aufmerksamkeit wieder dem Gelände zu. Er kratzte sich an der Nasenwurzel. Mit einem kurzen Befehl schickte er seinen Stallburschen zu einem der Bungalows, in dem er Licht gesehen hatte. Der Offizier sollte sofort zu ihm kommen. Dann drehte er sich auf dem Absatz um und ging wieder hinein.
Roxane saß aufrecht im Bett und griff ruhig nach ihrer Kleidung. Sie hatte das Laken sittsam um sich geschlungen. Ihr dichtes braunes Haar musste dringend gebürstet werden, aber ihr Gesichtsausdruck war gefasst und aufmerksam. In ihrem Blick lag weder Furcht noch übermäßige Neugier.
»Ist es so weit?«, fragte sie.
»Ich weiß es nicht.« – »Was geht dort draußen vor?«
Er beobachtete, wie sie sich erhob, in ihre Unterwäsche schlüpfte und dann ohne Hast ihr Kleid anzog. Sie fuhr sich mit den Fingern durch das Haar, fasste ihre widerspenstigen Locken im Nacken zusammen und bändigte sie mit irgendeinem Behelfsmittel, das er in der schwachen Beleuchtung nicht erkennen konnte.
»Einige der Sepoys haben sich versammelt, um über das Schicksal der Meuterer von Meerut zu reden. Das Urteil soll am Samstag verkündet werden.«
»Dann kennen sie es bereits«, meinte sie, während sie ihre Röcke hob und sich bückte, um ihr Höschen hochzuziehen. Sie fragte nicht, wie die Männer das erfahren konnten. Seit die Chapatties in den Dörfern und auch in den Heerlagern herumgereicht worden waren, wusste jeder, wie schnell sich Neuigkeiten in Indien verbreiten konnten.
»Ja, sie wissen Bescheid«, bestätigte er.
Roxane legte eine Hand leicht auf den Tisch, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren, und schlüpfte in ihre Schuhe. Dann zog sie ihre Unterröcke nach unten und glättete den verknitterten Stoff ihres Kleids. Zufrieden mit ihren Bemühungen, stand sie auf, stützte die Hände in die Hüften und lächelte Collier an. Das Lächeln war so tapfer, dass es ihm beinahe das Herz zerriss.
»Ich muss nach Hause fahren«, erklärte sie.
Unwillkürlich entfuhr ihm ein kehliger Laut. Er umklammerte ihre Oberarme und riss sie in seine Arme, bevor er sie auf die dunklen Locken auf ihrem Scheitel küsste.
»Meine tapfere geliebte Frau«, flüsterte er.
Als die Tür aufging, hatten sie sich bereits widerstrebend voneinander gelöst. Lieutenant Witmon kam herein. Er war nur unvollständig bekleidet und hielt eine rauchende Lampe in der Hand, deren Schein Schatten an die Wände warf. Der Stallknecht folgte ihm und entschuldigte sich wortreich auf Hindustani bei Collier.
»Collier! Was zum Teufel ist los? Oh! Äh … ich, äh …« Witmon atmete tief aus. »Miss … Miss Sheffield. Guten Abend.«
Roxane nickte gelassen und lächelte verhalten. Collier legte seine Hand beschützerisch auf ihre Schulter.
»Unter uns gesagt, Bart«, begann er. »Miss Sheffield und ich wurden am 23. März getraut.«
Der Lieutenant schwieg einen Moment und reichte dann lachend dem Syce die Lampe, damit er seine Hände frei hatte. Begeistert schüttelte er Collier die Hand.
»Beim Jupiter, das ging aber schnell, Kumpel. Oder sollte ich annehmen, dass eure Bekanntschaft in Kalkutta nicht ganz so unbedeutend war? Meine Glückwünsche! Euch beiden! Vor allem dir, Collier, du Glückspilz!«
Collier lächelte und schüttelte freundlich den Kopf, während er versuchte, die Glückwünsche seines Kameraden abzuwehren.
»Du musst das für dich behalten, Witmon. Niemand weiß etwas davon, und das soll im Augenblick auch noch dabei bleiben.«
»Oh?« Der Lieutenant grinste. »Gibt es schon …?« Er machte eine Geste, als würde er ein Baby in seinen Armen schaukeln.
Collier runzelte die Stirn. »Nein, das gibt es nicht, und ich wäre dir dankbar, wenn du solche Anspielungen lassen könntest. Roxanes Vater weiß noch nichts von unserer Heirat, und ich habe sie
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