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Palast der Stürme

Palast der Stürme

Titel: Palast der Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alyssa Deane
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seinen Kopf und betrachtete sie neugierig mit einem Blick aus seinen weiblichen Augen.
    »Roxane?«
    Sie riss sich von dem Pferd los und fuhr sich mit der Hand über die Augen und das Gesicht. Obwohl sie wusste, dass er neben ihr stand, vermied sie es, ihn anzusehen.
    »Sag jetzt nichts«, bat sie. »Lass mich in Ruhe.« Sie hob den Kopf und atmete tief durch. Mit leicht zitternden Fingern zog sie ihr Mieder und den Bund ihres Rocks zurecht.
    »Weißt du, wie schwierig es für mich ist, mir einzugestehen, dass ich dich liebe?«, fragte er, ohne eine Antwort zu erwarten. »Das ist keine gute Zeit dafür … Dennoch würde ich es nicht anders haben wollen. Nein«, fügte er hinzu, und sie hörte an seiner Stimme, dass er die Stirn runzelte. »Ich muss zuerst meine eigenen Probleme lösen … Roxane?«
    »Ja?« Sie wandte sich ihm langsam zu und sah, dass er traurig lächelte, während er einen Finger hob und die Spur ihrer Tränen auf ihrem Gesicht nachzeichnete.
    »Du weinst nicht oft, oder?«
    »Nein«, erwiderte sie. »Das tue ich nicht.«
    »Und ich habe dich dazu gebracht. Das tut mir leid. Ich verspreche dir, dass das nicht wieder vorkommen wird.«
    »Du solltest keine Versprechungen machen, die du nicht halten kannst«, sagte sie ruhig und bestimmt.
    Er schwieg einen Augenblick lang und nickte dann wortlos. Neben ihnen hob der Hengst den Kopf und spitzte die Ohren, als die Kapelle in der Ferne ›God Save the Queen‹ anstimmte, das Zeichen für das Ende der abendlichen Festivitäten. Collier band das Pferd los und reichte Roxane seinen Arm.
    »Zeit zur Rückkehr«, erklärte er. »Leider. Es gibt noch so viel zu besprechen, aber das wird warten müssen. Bist du bereit?«
    »Ja.«
    Sie machten sich schweigend auf den Weg, begleitet von dem rhythmischen Hufschlag des Hengstes. Collier warf immer wieder einen Blick auf Roxanes stilles, reizendes Profil. Glücklicherweise schien sie ihr Fassung wiedererlangt zu haben. Es hatte ihn beunruhigt, sie so weinen zu sehen; hinter den Tränen war ein Leid verborgen, das viel tiefer ging, als er es begreifen konnte. Er hatte ihr nicht sagen wollen, dass er sie liebte. Erst kurz bevor er es ausgesprochen hatte, war ihm klar geworden, welche Gefühle sie in ihm erweckt hatte.
    Jetzt, wo er es wusste, konnte er es kaum mehr erwarten, diesen bestimmten Brief aus der Heimat zu erhalten. Wie er ihr gesagt hatte, musste er noch seine Probleme lösen. Als er jetzt die Frau an seiner Seite betrachtete, wurde ihm klar, dass er damit viel zu lange gewartet hatte.

6
    Am nächsten Morgen wachte Roxane früh auf, früher, als sie erwartet hatte, nachdem sie erst spät und auf merkwürdige Weise erschöpft zu Bett gegangen war. Sie hörte Geräusche im Bungalow. Sie kamen von den leisen Sohlen der Bediensteten, und nicht von Colonel Stantons Stiefeln oder den Pantoffeln seiner Frau. Unity schlief offensichtlich noch tief und fest. Sie lag mit leicht geöffneten Lippen halb auf dem Rücken und schnarchte leise. Ihre feuerrotes zerzaustes Haar war auf dem Kissen ausgebreitet. Roxane zog ihren Morgenmantel an und knöpfte ihn sorgfältig zu, um nicht unschicklich zu erscheinen. Dann hob sie die Jalousie hoch und schlüpfte durch die Glastür hinaus auf die Veranda.
    Die Sonne war noch nicht aufgegangen, und der Garten lag in schattenloser Nacht. Das sonst allgegenwärtige Summen der Insekten fehlte; es war wie durch Zauberhand verstummt, als würde es den Anbruch des Tages erwarten. Am östlichen Horizont erschien eine feine Linie wie Schaum auf den Wellen an der Küste eines himmelblauen Meers. Der Wind zerrte am Stoff von Roxanes Morgenmantel und an ihrem offenen Haar, und sie streckte ihm ihr Gesicht entgegen. Selbst der Geruch nach Staub schien für einen Augenblick lang verschwunden zu sein.
    Sie ging zum Rand der Veranda und lehnte sich gegen die Brüstung. Irgendetwas rührte sich im Garten, und sie lauschte dem Wispern zwischen dem Laub und dem Staub. Sie hatte gehört, dass es in Indien riesige Schlangen gab, manche sogar über fünf Meter lang. Sie spähte mit zusammengekniffenen Augen in das Gestrüpp und fragte sich, ob das vielleicht eine war. Waren das Nachttiere? Sie hatte keine Ahnung. Vielleicht hatte sie nur eine der im Garten vorkommenden kleinen Schlangen gehört, die durch Blumenbeete und Gras krochen, aber angeblich die Wege wegen des dort ausgestreuten Muschelkieses nicht überqueren konnten.
    Sie würde Collier später fragen, was es seiner Meinung nach gewesen sein

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