Palast der Stürme
Wir haben ihn verfolgt. Er ist diese Straße hinuntergelaufen.« Er drehte sich um und streckte den Zeigefinger aus. »Und dort saß ein streunender Hund hinter einem Busch.«
»Wurde er gebissen?«, schrie Roxane und nahm Sera den Hund ab, um ihn auf Blutspuren zu untersuchen.
Obwohl sie nichts entdecken konnte, hatte sie Angst.
»Wir werden Courage zwei Wochen lang einsperren müssen, bis wir sicher sein können, dass er sich nicht angesteckt hat. Versteht ihr, was das bedeutet?«
Der Gärtner nickte betrübt. Sera begann zu weinen, und Roxane versuchte sie zu trösten. »Ich sehe kein Blut, also ist er wahrscheinlich nicht gebissen worden, Sera. Aber wir können kein Risiko eingehen – er muss in Quarantäne. Während dieser Zeit darfst du ihn nicht anfassen, hörst du? Du kannst mit ihm reden, wenn du möchtest, aber du darfst nicht so nahe an ihn herangehen, dass er dich berühren kann.«
»Courage wird sehr einsam sein«, wimmerte Sera.
»Ohne Zweifel«, gab Roxane ihr recht. »Aber deine Stimme wird ihm Mut geben. Und zwei Wochen sind bald vorüber.« Sie reichte Govind die Leine mit der strengen Anordnung, sofort eine Hütte zu bauen, aus der der Hund nicht entkommen konnte und in die keine anderen Tiere Zutritt fanden. »Und dann gib ihm um Himmels willen frisches Wasser. Seine Zunge hängt ja bereits bis zum Boden.«
Schweigend bewegte sich die Prozession durch das Tor. Dann drehte sich der Gärtner noch einmal zu Roxane um und senkte die Stimme.
»Bitte geben Sie dem Sahib Bescheid. In dem Busch lag irgendetwas, was den Streuner interessierte. Ich habe es nicht genau gesehen, aber ich glaube, er sollte davon erfahren. So schnell wie möglich.«
Roxane lief trotz der brennenden Sonne ein Schauder über den Rücken.
»Wo?«, fragte sie.
Der Gärtner riss die Augen auf und schüttelte den Kopf. »Nein! Die Memsahib sollte hierbleiben. Nicht nachschauen! Es ist kein schöner Anblick! Colonel Max wird sich darum kümmern.«
»Wo?«, wiederholte Roxane beharrlich. »Zeig es mir. Du musst nur in die Richtung deuten.«
Der Mann zögerte einen Moment. Seine Lippen bewegten sich unsicher, bis er dann schließlich nickte. »Ja, ich deute nur hin. Wenn Sie näher kommen, werden Sie es finden. Der Geruch ist grauenhaft.«
Nachdem Roxane jemanden damit beauftragt hatte, ihrem Vater Bescheid zu sagen, ging sie die Straße hinunter bis zu der Ecke, die Govind ihr gezeigt hatte. Sie wischte sich mit der Hand den Schweiß von der Stirn. Noch bevor sie die Stelle erreicht hatte, nahm sie einen üblen, fauligen Gestank wahr. Sie fragte sich, warum das bisher noch niemand gemeldet hatte, aber am Straßenrand roch es oft nach verwesten Tieren. Als sie langsam näher ging, stieg ihr Galle in die Kehle – nicht nur wegen des Gestanks, sondern auch wegen der Angst, die plötzlich ihr Herz zusammendrückte.
Sie hob einen großen Stein auf und warf ihn nach zwei streunenden Hunden, die knurrend am Straßenrand herumschnüffelten. Es waren keine Geier oder Milane zu sehen, aber das überraschte sie nicht, da das Gestrüpp an dieser Stelle so dicht war, dass sie wohl nicht an das, was darunter lag, herangekommen waren. Sie drückte sich ein Taschentuch auf die Nase und stocherte mit einem Stock in dem Buschwerk, um die größeren Zweige beiseitezuschieben. Das Summen der Fliegen klang wie ein wütender Bienenschwarm, und sie musste eine dicke, glänzende Schicht von ihnen abkratzen, um sehen zu können, was darunter lag. Unvermittelt wandte sie sich ab, krümmte sich und übergab sich geräuschvoll.
Es war ein menschliches Skelett, an dem stinkende, von Maden bevölkerte Fleischfetzen hingen; das lange, ölig schwarze Haar war trocken und leblos. Die Wunde war nicht sofort zu erkennen, aber der Kiefer war wie zu einem stummen Schrei nach unten geklappt. Das verbliebene Fleisch um die Augenhöhlen zeigte, dass die Augen weit aufgerissen gewesen waren, als sie dem gewaltsamen Tod entgegengesehen hatten. Am Hals krabbelten unzählige Fliegen übereinander, um sich zu vermehren. Darunter schimmerten im Schatten die Goldkette und das Kruzifix, das die tote Frau vor mehr als acht Jahren von dem Mann, der der Vater ihres Mischlingskinds war, geschenkt bekommen hatte.
Zwei Tage später wurde Max Sheffields Geliebte christlich beerdigt. Die Umstände ihres Todes wurden nicht eingehend untersucht, da, wie man Roxane erklärte, der Zustand der Leiche die Feststellung der genauen Todesursache nicht erlaubte. Brauchbare Beweise
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