Palast der Stürme
dachte sich für ihren Vater bei jedem Ersatz, der ihm auffiel, eine plausible Begründung aus.
Bei ihrem nächsten Treffen mit Ahmed sah sie ihn erwartungsvoll an, aber er schüttelte nur bedauernd den Kopf.
»Ich habe nichts von ihm gehört oder gesehen.«
Das beunruhigte Roxane, und sie war frustriert, dass sie nichts zu Colliers Wohlergehen beitragen konnte. Der Ärger darüber ließ sie vergessen, dass sie es war, die in ihrer Furcht und Verletzlichkeit um seine Rückkehr gebeten hatte. Ihre Aufgaben gaben ihr jedoch ihre Kraft zurück, und ihre Gedanken drehten sich nun nur noch um seine Sicherheit.
Als sie mit dem Ponywagen durch die Reihen der Regimenter fuhr, fiel Roxane auf, dass nur einige wenige der Männer, die normalerweise eine europäische Lady bei der Durchfahrt höflich grüßten, sie beachteten. Die anderen wandten sich von ihr ab oder starrten sie nur an. Als sie eine Gruppe erkannte, hielt Roxane den Wagen an und rief einen der Männer zu sich. Er kam mürrisch zu ihr und blieb neben dem Wagen stehen. Seine Kameraden folgten ihm mit einem kleinen Abstand.
»Wie geht es Ihrer Mutter?«, fragte sie den Sepoy. »Bei unserem letzten Gespräch sagten Sie, dass sie krank sei.«
Der Mann scharrte mit den Füßen im Staub und wirbelte kleine Wolken auf, bevor er aufsah.
»Besser«, erwiderte er zögernd.
»Und hat Ihre Tochter nun geheiratet?«
»Oh ja«, antwortete er etwas munterer. »Sie haben einen Sohn.«
»Das macht Sie sicher sehr glücklich.« Roxane sah dem Mann direkt in die Augen.
»Ich bin reich gesegnet«, erklärte er.
»Das freut mich für Sie.« Roxane verabschiedete sich und fuhr langsam weiter. Er trottete eine Weile neben dem Karren her.
»Hat die Memsahib keine Angst, allein unterwegs zu sein?«
Roxane hielt die Kutsche wieder an.
»Ich bin nicht allein«, entgegnete sie. »Ich habe meine Schwester bei mir, wie Sie sehen. Und außerdem sind Sie an meiner Seite, nicht wahr?«
Nach einer kurzen Pause lächelte der Sepoy. »Ja«, antwortete er. Er nahm die Zügel des Ponys in seine braune Hand und führte das Tier durch das Camp der Schlammhütten auf die Hauptstraße. Bevor er zurückging, verabschiedete sich Roxane von ihm. Er trat einige Schritte zurück und salutierte.
»Ich habe nicht vergessen, wie freundlich Sie immer zu mir waren.«
»Das beruht auf Gegenseitigkeit«, erwiderte sie.
Er nickte und ging zu seinen Kameraden zurück, die ihn aus der Ferne beobachtet hatten. Nach kurzem Zögern salutierten sie Roxane ebenfalls, bevor sie sich abwandten. Roxane war sich allerdings bewusst, dass die Erinnerung an vergangene Loyalität nicht mehr als eine kurze Atempause bedeutete.
Als sie nach Hause zurückgekehrt war, beschloss Roxane mit ihrem Vater über diese Respektlosigkeit zu sprechen, und wenn es auch nur dazu diente, ihm zu verdeutlichen, dass sich unter seinen Truppen möglicherweise Unzufriedenheit breitmachte. Sie hörte Stimmengemurmel aus dem Büro ihres Vaters und setzte sich in den Gang, um zu warten. In der Zwischenzeit sah sie die Post durch und sortierte die für sie bestimmten Schreiben aus.
Roxane riss ein Kuvert aus steifem Pergament von Unity auf und las den Brief. Unity berichtete, dass Harry Grovsner und Rose Peabody heiraten würde. Es würde nur eine kleine Feier im engsten Kreis stattfinden. Unverblümt beschrieb sie den Grund für die Hast – dieser sei an dem wachsenden Umfang von Rose’ Bauch deutlich sichtbar. Sicher wäre ihre Mutter schockiert über ihre Wortwahl. Bei Unitys Schilderung wanderte Roxanes Hand unwillkürlich zu ihrem Bauch. Sie wurde blass, als sie in Gedanken die Tage zählte. Bei all den Dingen, die in letzter Zeit geschehen waren, hatte sie ihren Menstruationszyklus aus den Augen verloren, aber sie konnte nicht glauben, dass ihre Regel ausgeblieben war. Sicher war es erst in einigen Tagen so weit. Sie versuchte, sich an einige bedeutende Ereignisse im Kalender zu erinnern, um ein sicheres Datum herauszufinden, beschloss jedoch dann, dass das bis zu einem ruhigeren Moment warten musste.
Roxane atmete bewusst gleichmäßig, richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf den Brief in ihrer Hand und fuhr mit dem Finger die Zeilen entlang bis zu der Stelle, wo sie unterbrochen hatte.
Zumindest habe er sich als Ehrenmann gezeigt, fuhr Unity fort. Er habe aber schließlich auch nicht abstreiten können, dass er mit Rose schon länger gut bekannt war. Roxane schüttelte den Kopf bei diesen frechen Worten, aber immerhin
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