Palast der Stürme
Stirn.
»Vielleicht kommt sie nicht mehr wieder, Sera. Wie du weißt, hatte sie vor etwas Angst, was es möglicherweise gar nicht gibt. Aber falls sie nicht mehr zurückkehrt, dann werde ich für dich da sein. Und Colonel Max wird sich auch um dich kümmern. In Ordnung?«
»Sie glaubt, dass man sie umbringen will«, murmelte Sera, den Kopf an Roxanes Bluse gedrückt.
Roxane sah wieder ihren Vater an, der verbissen auf die Serviette neben seinem Teller starrte.
»Sera, hast du schon mal schlecht geträumt? Und das hat dir Angst gemacht?« Das kleine Mädchen nickte. »Ich glaube, deine Mutter hatte auch einen sehr schlimmen Traum, und als sie aufwachte, hatte sie immer noch Angst. Nur hat sie nicht verstanden, dass ihre Angst von dem Traum kam, also hat sie nach anderen Gründen gesucht, die daran schuld sein könnten. Aber es wird alles wieder gut werden, du wirst sehen.«
Sera wandte sich ihrem Vater zu, um von ihm eine Bestätigung zu erhalten. Max Sheffield schenkte seiner jüngsten Tochter ein mattes Lächeln. »Wir alle haben uns schon einmal so sehr gefürchtet, Sera, und dann tun wir dumme, manchmal schmerzliche Dinge. Aber Roxane hat recht. Alles wird gut werden.«
Sera kletterte von Roxanes Schoß und ging mit einer für ein Kind untypischen Würde zu dem Stuhl am oberen Ende des Tisches. Sie legte ihrem Vater ihre winzige Hand auf den Arm.
»Liebst du mich noch, Colonel Max?«
Naiv und einfach. Wenn sie die Liebe eines Elternteils behalten konnte, dann würde sie die Abwesenheit des anderen verzeihen. Max Sheffield legte seine große Hand auf ihre kleinen Finger, die seinen Arm umklammerten. Seine Augen waren tränenfeucht.
»Natürlich«, erwiderte er. »Ich werde dich immer lieben.«
Roxane war überwältigt – allerdings nicht von einem Gefühl des Verlusts oder der Ausgeschlossenheit, wie sie es erwartet und verstanden hätte, sondern von einer dieser düsteren Vorahnungen, die sie in regelmäßigen Zeitabständen immer wieder überfielen. Sie wünschte, sie hätte sich die Zeit genommen und mit Collier in der Nacht darüber gesprochen. Roxane entschuldigte sich und ging in ihr Zimmer, um Seras unordentlich aufgestapelte Kleider zu falten.
Natürlich würde sie schon bald Gelegenheit haben, alles, was sie nur wollte, mit Collier zu besprechen. Wie sie bereits Sera gesagt hatte, bestand immer die Möglichkeit, dass alles gut werden würde. Im Augenblick wusste sie jedoch nicht einmal, wohin er gegangen war, nachdem er sie verlassen hatte, noch genau, wann er wieder zurückkommen würde. Er hatte ihr versprochen, dass es nicht lange dauern würde, und falls sie ihn in der Zwischenzeit brauchen würde, sollte sie Ahmed eine Nachricht zukommen lassen. Ahmed würde dafür sorgen, dass Collier sie erhielt. Diese Geheimhaltung machte sie noch unruhiger.
Am Tag nachdem Cesya verschwunden war, brachte Max einen Welpen mit nach Hause. Die Mutter, ein Spaniel, gehörte einem Freund von ihm. Zögernd gab er Sera den Welpen und hoffte, dass er sie ein wenig trösten würde. Das Kind und auch Roxane verliebten sich sofort in das Hündchen. Roxane beschäftigte sich nun jeden Tag damit, ihrer Halbschwester beim Abrichten des jungen Hunds zu helfen, während sie auf Colliers Rückkehr wartete.
In den folgenden Wochen erhielt Roxane einige geheimnisvolle Nachrichten. Einige kamen von Ahmed, andere von einem Verfasser, der seine Botschaften nicht unterschrieb, aber sie wusste, dass es sich um Collier handelte. Er ließ sie wissen, dass es ihm gut gehe, dass er oft an sie denke, dass er sie immer noch liebe und dass sie sich deshalb keine Sorgen machen solle. Sie hatte Ahmed während einer ihrer Unterrichtsstunden ihre Befürchtungen anvertraut.
»Ihr Stern ist unverrückbar«, hatte Ahmed lächelnd erwidert.
In anderen Nachrichten wurde sie aufgefordert, bestimmte Vorkehrungen zu treffen. Wenn sie die Botschaften richtig deutete, ging es dabei um ihre Fahrten in die Stadt und um die Aufstockung des Lagers im Haus ihres Vaters ohne das Wissen der Bediensteten. Sie erhielt auch viele andere Warnungen und Anweisungen, die sie zu befolgen versuchte. Eigentlich waren sie nicht nötig. Sie war sich durchaus der unterschiedlichen Beschwerden der Sepoys bezüglich ihrer Religion und ihrer Furcht, ihre Kaste zu verlieren, bewusst.
Immer wieder schien sich alles um die neuen Patronen zu drehen. Und obwohl die Armee anscheinend alles tat, was in ihrer Macht stand, um die Ängste der Männer zu zerstreuen, war das
Weitere Kostenlose Bücher