Palazzo der Liebe
überdachter Balkon mit zierlichen Säulen, ein wahres Meisterwerk des Steinmetzhandwerks.
„Gleich da vorn ist der Südeingang.“
„Wie viele Eingänge gibt es denn?“, wollte Sophia wissen, als das Boot zwischen zwei massiven Holztüren in ein im Gebäude liegendes Bootshaus glitt. Hier drang kein Sonnenstrahl herein, und das Wasser um sie herum wirkte plötzlich fast schwarz und seltsam bedrohlich.
„Fünf, inklusive der Gartenpforte. Aber da man hier meist auf dem Wasser unterwegs ist, wird sie kaum genutzt.“
Er vertäute das Boot an einem eingelassenen Eisenring, sprang an Land und reichte Sophia die Hand, um ihr beim Aussteigen zu helfen. Wie schon zuvor, sandte die leichte Berührung wohlige Schauer über ihren Rücken und ließ ihr Herz schneller schlagen.
Vom Bootshaus führten flache Steinstufen zu einer mit Eisennieten beschlagenen Doppeltür aus massivem Holz, die ein altmodisches Eisenschloss zierte. Seitlich hing eine ebenso altertümliche Eisenglocke mit einem Schwengel zum Läuten.
Gleich daneben gab es eine sehr viel kleinere, moderne Tür mit normalem Zylinderschloss, die ein untersetzter Mann öffnete, noch bevor sie sich bemerkbar machen konnten. Er trug dunkle Hosen und ein weißes Hemd, das am Hals offen stand. Mit dem dichten weißen Haar und den schwarzen Brauen erinnerte er Sophia sofort an den geheimnisvollen Besucher ihres Vaters, von dem Mrs. Caldwell ihr erzählt hatte.
„ Ciao, Roberto“, begrüßte Stephen ihn in vertraulichem Ton. „Das ist Signorina Jordan.“
Sophias freundliches Lächeln beantwortete der Mann mit einem kurzen Kopfnicken.
„Schickst du bitte jemanden, der sich um ihr Gepäck kümmert?“
Ohne auf eine Reaktion zu warten, führte Stephen Sophia in einen riesigen, mit Steinfliesen ausgelegten Raum, an dessen Ende ein monumentaler offener Kamin in die Wand eingelassen war. In der Mitte stand ein langer Tisch mit Holzbänken auf beiden Seiten, an den Wänden befanden sich altmodische Anrichten.
„Wie du wohl bereits vermutest, ist dies der Dienstbotentrakt“, erklärte ihr Gastgeber. „In früheren Zeiten lebte hier eine kleine Armee dienstbarer Geister, heute sind es kaum noch ein Dutzend.“
Sie gelangten in eine weitaus elegantere Halle, auf deren einer Seite eine breite Marmortreppe zu den oberen Stockwerken führte, während auf der anderen mehrere bogenförmige Gänge abzweigten.
„Einer von ihnen führt zur Südpforte“, erläuterte Stephen, der Sophias neugierigen Blick bemerkte. „Aber dies hier ist der offizielle Eingang.“
Die weitläufige Halle mit dem polierten Marmorboden war ungeheuer beeindruckend. Sophia schaute zu den blitzenden Kristalllüstern hoch, die an goldenen Ketten von der Decke herabhingen, bestaunte die kunstvoll verzierten Säulen neben dem Eingangsportal und die raumhohen Barockspiegel an den Wänden, die das prachtvolle Ambiente reflektierten.
Und wieder erschien ihr die fremde luxuriöse Umgebung merkwürdig vertraut, als sehe sie dies alles nicht zum ersten Mal.
„Und das ist der Ballsaal.“
Auch hier setzte sich die üppige Pracht fort.
„Ich hätte ihn mir nie so … groß und beeindruckend vorgestellt“, murmelte sie wie erschlagen.
Stephen lachte. „Dann solltest du ihn einmal abends sehen, wenn tatsächlich ein Ball stattfindet.“
„Hast du das schon einmal miterlebt?“
„Mehrfach sogar. Als Kind schlich ich mich heimlich aus meinem Zimmer, um das aufregende Ereignis von einem Versteck aus zu verfolgen. Und an meinem einundzwanzigsten Geburtstag gab Fran sogar mir zu Ehren einen Ball.“
Stephen Augen leuchteten, offenbar in Erinnerungen versunken.
„Es wirkte immer, als erwache der Palazzo auf einen Schlag zum Leben. Erfüllt von Licht und Farben, überall hörte man Musik und das Lachen und Plaudern der Gäste – plötzlich fiel es einem leicht, sich in das Venedig der vergangenen Jahrhunderte zu versetzen.“
„Hört sich fantastisch an. Das würde ich auch gern einmal erleben“, entfuhr es Sophia spontan.
„Dann sollst du das auch. Anfang März ist der Geburtstag meiner Tante, deshalb habe ich mir überlegt, im Carne vale einen Ball zu ihrem Gedenken zu veranstalten.“
„Und wann genau ist die Karnevalszeit?“
„Im Frühjahr, vor Beginn der Fastenzeit.“
Er erwartete doch wohl nicht, dass sie so lange in Venedig blieb?
„Sie dauert über zehn Tage. Jeder verkleidet sich und trägt eine Maske. Den Höhepunkt bildet der Maskenball am Fastnachtsdienstag, mit einer
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