Palazzo der Liebe
Tür. Wie sollte sie mit einem Mann ins Bett gehen, der beabsichtigte, in Kürze eine andere zu heiraten? Wie konnte Stephen so etwas von ihr erwarten? Oder auch nur denken?
Eine erfahrenere Frau als sie mochte damit vielleicht zurechtkommen, aber sie nicht!
Als sie irgendwo eine Tür klappen hörte, griff Sophia sich in einer panischen Geste an den Hals. Stephen konnte jeden Moment zurückkehren. Was sollte sie ihm sagen? Wie sollte sie ihm in die Augen sehen?
Ihr einziger Gedanke kreiste um Flucht! Sie brauchte unbedingt frische Luft! Wie der Blitz lief sie zu den hohen Terrassentüren. Doch bevor sie sie öffnete, sah sie halb verborgen zwischen dichten Büschen einen dunklen Schatten und zuckte zurück. Dort draußen stand jemand – und offenbar wollte er nicht gesehen werden.
Hastig durchquerte Sophia das Wohnzimmer, spähte durch die Tür auf den leeren, schwach beleuchteten Gang und eilte dann mit klappernden Absätzen über den polierten Marmorboden in Richtung Eingangshalle. Von dort aus bog sie in den Gang, der zum Südausgang führte, und nach kurzer Anstrengung gelang es ihr sogar, den schweren Eisenriegel der alten Holztür aufzuschieben und nach draußen zu schlüpfen.
Und dann stand sie zitternd und lauschend auf der dunklen verlassenen fondamenta. Neben ihr im schwarzen Kanal gluckste das Wasser, aus der Ferne drangen Musikfetzen und fremde Laute herüber, und in einem Gefühl grenzenloser Verlassenheit schlang Sophia die Arme um ihren Oberkörper.
Gedankenverloren setzte sie einen Fuß vor den anderen und merkte gar nicht, dass sie dabei automatisch den Weg einschlug, den sie schon zweimal zusammen mit Stephen gegangen war. In ihrem Kopf herrschte ein einziges Chaos. Energisch zwang sie sich, der Realität ins Gesicht zu schauen, um einen Entschluss fassen zu können.
Wenn sie nicht mit Stephen ins Bett gehen wollte, gab es für sie nur drei Möglichkeiten. Sie konnte in ihre eigene Gästesuite zurückkehren, sich ein Hotel suchen – oder den nächsten Flug nach London nehmen. Ein klarer Schnitt erschien ihr momentan am vernünftigsten, also kam nur die dritte Variante infrage.
Sophia wusste nicht, wie lange sie schon ziellos durch die engen verwinkelten Gassen wanderte. Am liebsten wäre sie gar nicht mehr in den Palazzo zurückgekehrt, aber da sie weder Bargeld noch ihre Kreditkarte bei sich trug, konnte sie nicht einmal versuchen, für die Nacht in einem Hotel unterzukommen.
Frustriert schaute sie um sich, und plötzlich schlug ihr Herz wild und furchtsam, denn sie stellte fest, dass sie sich rettungslos verlaufen hatte.
9. KAPITEL
Wann immer Sophia meinte, endlich auf eine bekannte Straße zu stoßen, erwies sich ihre Hoffnung nach einigen Schritten als trügerisch.
Immer wieder reckte sie ihren Hals nach den Straßenschildern, aber erstens hingen sie zu hoch, und zweitens gab es in den engen Gassen kaum Licht, um die Straßennamen zu entziffern. Und selbst wenn ihr das gelungen wäre, halfen die Namen Sophia auch nicht weiter.
Da, am Ende der Straße, die zum Kanal hinunterführte, hing wieder ein Schild. Und diesmal stand glücklicherweise eine altmodische Laterne in der Nähe.
Als Sophia sich auf die Zehenspitzen stellte, um besser sehen zu können, glaubte sie, aus den Augenwinkeln eine Bewegung wahrzunehmen. Wie gelähmt verharrte sie auf der Stelle, während ihr ein kalter Schauer den Rücken hinablief und sich ihre Nackenhärchen aufrichteten.
Um sie herum herrschte eine geradezu beängstigende Stille.
Gerade als sie beschloss, sich das alles nur einzubilden, erinnerte sie sich an die Worte der Marchesa über Venedig und die angeblichen Gefahren. Verärgert biss Sophia die Zähne zusammen. So weit kam es noch, dass sie sich von einer eifersüchtigen Frau verrückt machen ließ!
Entschlossen lockerte sie die verkrampften Glieder und ging weiter, ohne das Straßenschild genauer unter die Lupe zu nehmen. Denn trotz ihres tapferen Entschlusses richteten sich all ihre Sinne immer noch nach hinten, wo …
Unsinn! Zurück im Palazzo könnte sie ganz sicher über ihren Ausflug durchs nächtliche Venedig lachen – vielleicht sogar zusammen mit Stephen.
Ab sofort wählte Sophia die breitesten Straßen, in der Hoffnung, an einen bekannten Punkt zu gelangen, von wo aus sie den Weg zum Palazzo wiederfand. Endlich erreichte sie eine Gegend, die ihr vertraut vorkam. Kam man von hier aus nicht direkt zu der Brücke, die über den Rio Castagnio führte?
Wenn sie damit richtig lag,
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