Palazzo der Lüste
schlüpfte. Sie kam ungesehen bis in den zweiten Stock, aber gerade, als sie die Tür zu ihren Gemächern öffnen wollte, hörte sie die Stimme Sofias hinter sich.
»Cecilia, habe ich doch richtig gehört.« Sie trippelte auf sie zu und schob sie in ihren eigenen Salon.
Nicolòs Mutter war bereits für die Nacht gekleidet und trug einen ungemein eleganten seegrünen Seidenrock, bestickt mit weißen Rosen.
Es würde sich nicht vermeiden lassen, Cecilia würde sich anhören müssen, was die Ältere ihr zu sagen hatte. Sie ließ ihr Retikül auf den Toilettentisch fallen und schlüpfte aus ihren Schuhen. Nicolòs Mutter nahm auf der Kante eines Sessels Platz und drapierte die Falten des Morgenrocks um sich herum.
»Kind, wo waren Sie nur? Ich habe Todesängste um Sie ausgestanden. Erst mein schlimmer Sohn und dann Sie. Nie, nie wieder dürfen Sie einfach allein dem Haus gehen. Und Ihr Kleid, wie sieht das aus? Wo waren Sie nur?«
»Ich habe mich verlaufen, deswegen ist es später geworden«, antwortete Cecilia vage.
»Ein Grund mehr, nicht allein fortzugehen.«
Cecilia kniete sich neben Sofias Sessel und nahm deren Hand.
»Liebe Tante«, diesmal kam ihr die Anrede nicht schwer von den Lippen, »Sie dürfen sich nicht um mich sorgen. Ich will Nicolò helfen, nur deswegen habe ich es getan.«
»Aber was …?«
»Nein, fragen Sie mich nichts. Ich werde die Rätsel bald gelöst haben, mehr kann ich ihnen nicht sagen.«
Später, als sie im Bett lag, konnte sie lange nicht einschlafen.
Kapitel 15
Cecilia hatte keine Augen für die verschwenderische Ornamentik der Porta della Corta, durch die sie den Dogenpalast betrat. Ihre Rechte krampfte sich um den Brief, mit dem der Rat der Zehn einen Besuch bei Signore Nicolò Capelli erlaubte. Eine Person durfte ihn besuchen, aber nicht seine Mutter. Eine wohlberechnete Grausamkeit, die Nicolòs Mutter einen nicht enden wollenden Tränenstrom entlockte. Die Besuchserlaubnis war der erste Erfolg in den Bemühungen Raimondo Zorzas. Ihr hatte eine Liste der Dinge beigelegen, die dem Gefangenen gebracht werden durften. Zwei Diener folgten Cecilia und trugen Bündel mit Kleidung, Zahnpulver, Weinflaschen und Büchern.
Das Papier in ihrer Hand wurde langsam feucht vom Schweiß, als sie sich im Innenhof umsah. Hinter dem Torbogen begann die Scala dei Giganti. An deren Fuß blieb sie unschlüssig stehen. Sollte sie wirklich die Treppe hochgehen, auf deren oberster Stufe die Dogen traditionell mit der Dogenmütze gekrönt wurden? Sie entdeckte keinen anderen Eingang.
Schweren Schrittes stieg sie die Stufen empor. Oben eilten Besucher und Bedienstete durch die Galerien und Loggien. Manche trugen Aktenbündel unter dem Arm, andere waren tief in Gespräche versunken. Sie senkten die Stimmen, wenn Cecilia vorüberging.
Im einundzwanzigsten Jahrhundert hätte sie nicht gezögert, einen Bediensteten ihr Anliegen vorzutragen und ihm die Besuchserlaubnis zu zeigen. Jetzt zögerte sie. Gehörte es sich für eine »Capelli« jemanden anzusprechen? Ihre Hände wurden vor Aufregung immer feuchter, und sie begann sich wie ein Tier in einem Käfig zu fühlen. Da hatte sie endlich die Erlaubnis erhalten, um den Mann zu besuchen, an den sie Tag und Nacht dachte, und nun kam sie nicht hin.
»Kann ich Ihnen helfen, Signora?«, erbarmte sich einer der schwarz gekleideten Aktenträger. Er war ein noch junger Mann mit einem hageren pockennarbigen Gesicht, wirkte gehetzt, als warte in den Tiefen des Dogenpalastes ein turmhoher Berg Arbeit auf ihn.
Cecilia sah das nicht. In ihrem Inneren herrschte ein Chaos wie nach einem Orkan. Er musste seine Frage wiederholen, ehe sie reagierte.
»Ich will Nicolò besuchen«, sprudelte sie heraus.
Das entlockte ihm ein schmales Lächeln. »Sie werden hier sicher mehrere Herren dieses Namens finden. Ich lasse alle kommen, und Sie können einen aussuchen.«
Eigentlich sah er nicht so als, als könnten ihm humorvolle Worte von den Lippen fließen. Statt dass sie Cecilia ein Lächeln entlockten, stürzten sie sie noch mehr in Verwirrung.
»Ich – ich möchte nur einen sehen. Er ist hier im – im …« sie brachte es nicht über sich, das Wort Gefängnis auszusprechen, deshalb streckte sie ihm zuletzt den zerknitterten Brief hin.
»Signora Capelli«, er hatte die Stimme gesenkt. »Ich werde Sie zum Gefängnis bringen.«
Wie eine Prozession schritten sie durch den Dogenpalast. Der Kanzleischreiber
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