Palazzo der Lüste
sie auf den Stoff getreten war? Das war ihr schon zweimal passiert – es war viel schwieriger sich mit den langen Röcken zu bewegen, als sie gedacht hatte. Besorgt schaute Cecilia an sich herunter. Sie sah allerdings weder einen Fleck noch einen herunterhängenden Saum und auch sonst nichts, was seinen Unmut erregt haben könnte. Gesenkten Kopfes stand sie vor ihm und fragte sich, was bei der gebenedeiten Madonna sie getan hatte.
Da schenkte er ihr ein Lächeln, und sie fühlte sich, als wäre eine Zentnerlast von ihren Schultern geglitten.
Mit der Peitschenspitze tippte er ihre Schultern an und berührte zuletzt ihr Kinn. »Gerade stehen und den Kopf hoch tragen. Das ist die Haltung einer venezianischen Patrizierin.«
Sofort straffte sie sich.
»Viel besser«, kommentierte er und trat neben sie. »Aber Sie müssen auch so bleiben.«
Cecilia knickste. Er verbeugte sich vor ihr und grüßte sie mit einem Handkuss, bei dem seine Lippen nur eben ihre Haut streiften. Ihre Hand auf seinen Unterarm gelegt schritten sie Seite an Seite durch den Salon. Sorgfältig setzte sie einen Fuß vor den anderen und achtete sehr darauf, nicht auf ihre langen Röcke zu treten. Nach der ersten Nacht in Nicolòs Schlafzimmer hatte sie zwei eigene Räume in der Villa Capelli erhalten, die im anderen Flügel des Hauses lagen und von seinen weit entfernt waren.
»So geht das nicht.« Er ließ ihren Arm los, nicht ohne vorher mit dem Daumen über ihre Handfläche zu streichen. »Eine Nobildonna trampelt nicht wie eine Magd durch die Welt, sie schwebt wie ein Schmetterling von Blüte zu Blüte.« Diesmal berührte die Peitsche eine Spitze ihres Schuhs.
Gerade hatte sie gedacht, sie mache alles richtig, und da kam wieder so etwas. Ihr Vertrauen in sich und ihre Lage sank wieder in den Keller.
»Die Schultern zurück, den Kopf gerade halten«, kommandierte er, wie es vor vielen, vielen Jahren ihr Reitlehrer getan hatte.
»Kommen Sie her.« Er lotste sie zu einem am Fenster stehenden Tisch, auf dem etwa ein Dutzend Bücher lagen.
Die Reitpeitsche legte er ab und nahm dafür das dickste Buch in die Hand. Nach einem kurzen Blick darauf sagte er: »Die Bibel, das passt.«
Er legte sie Cecilia auf den Kopf und hieß sie so durch den Raum zu gehen. Nach etwa einem Dutzend Schritten geriet das Buch unaufhaltsam ins Rutschen, Cecilia konnte es gerade noch auffangen. Sie begann zu kichern und konnte nicht wieder aufhören. Der ernste Gesichtsausdruck Nicolòs belustigte sie immer mehr, sie wünschte, er würde noch einmal die Augenbrauen zusammenziehen oder noch besser die Stirn runzeln. Leider tat er ihr den Gefallen nicht, sondern nahm ein weiteres Buch vom Tisch.
»Machiavellis Il Principe, das passt zur Bibel.« Er legte ihr die Bücher wieder auf den Kopf.
Mit beiden Büchern versuchte Cecilia wieder durch das Zimmer zu schweben. Diesmal ging er neben ihr, eine Hand an ihre Taille gelegt. Die Reitpeitsche hielt er locker in der anderen Hand, nicht mehr wie eine Drohung, sondern wie ein Versprechen. So eng wie der Reifrock es erlaubte, schmiegte sie sich in seinen Arm. Die Bücher lagen auf ihrem Kopf wie festgeklebt. Mit ihm an der Seite ging alles viel besser.
»Perfekt, Donna Cecilia. Ich denke, morgen ist meine Verwandte gesund und kommt zum Abendessen herunter.«
Bisher hatten sie in der Villa verbreitet, dass Cecilia nach ihrer Anreise von Alexandria an einem leichten Fieber erkrankt sei und der Ruhe bedürfte. Bisher hatte sie deshalb nur Nicolò und ihre Zofe zu Gesicht bekommen.
»Wirklich!« Cecilia riss sich die Bücher vom Kopf – der langweilige Unterricht würde endlich ein Ende haben, sie konnte diese Zimmer verlassen, sich die Sonne ins Gesicht scheinen lassen. Die Freude überwog deutlich die Angst, als Betrügerin entlarvt zu werden.
»Wenn Sie sich konzentrieren, wird alles gut werden, und länger kann ich Sie sowieso nicht in diesem Zimmer halten.« Er ergriff ihre beiden Hände, um sie daran zu hindern, unkontrolliert mit den Armen zu fuchteln – eine Unsitte, die er immer wieder tadelte – zog sie an seine Lippen und hauchte auf jeden Fingerknöchel einen Kuss.
Über die Hände hinweg schaute er sie an, und sie versank in seinen grauen Augen. Sie konnte nichts dagegen tun. Er zog sie näher zu sich heran. Cecilias Herz klopfte bis zum Hals. Was tat sie? Sie sollte vor ihm fliehen, aber sie konnte keinen Muskel rühren. Sie wollte ihn, seit sie ihn
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