Palazzo der Lüste
Interessantes Gesicht«, murmelte er, bevor er sie wieder losließ.
Nicolò stand mit den beiden Damen Trebiso immer noch im vorderen Teil der Kirche, als Cecilia und Meister Tiepolo zu ihnen zurückkehrten. Auf Nicolòs Arm gestützt verließ sie Santa Maria della Pietà. Im grellen Sonnenlicht vor der Kirche musste sie die Augen zusammenkneifen. Hastig spannte sie ihren Sonnenschirm auf.
Nicolò drückte ihr sein Taschentuch in die Hand und raunte ihr zu: »Sie haben da einen Schmutzfleck am Kinn.«
»Der Meister findet, ich habe ein interessantes Gesicht«, vertraute sie ihm an, während sie mit der weißen Seide über ihr Kinn rieb.
»So lange er nichts anderes an Ihnen interessant findet.«
»Eifersüchtig?«
»Auf einen Mann von über fünfzig?«
Er ist eifersüchtig, freute sie sich.
*** Die Uhr der Kirche San Benedetto schlug zwei Uhr nachts, und Cecilia fuhr aus dem Schlaf auf. Sie hatte von Stefano und Nicolò geträumt. Manchmal waren sie zwei Männer. Manchmal nur einer. Sie hatten abwechselnd oder gemeinsam zu ihr gesprochen, nur ihre Worte hatte sie nie verstehen können. Die Statuen waren aufgetaucht, hatten auf ihren Piedestalen gestanden und vorwurfsvoll auf sie herabgeblickt. Alle hatten etwas von ihr gewollt, aber sie wusste nicht was. Der Mond schien ins Zimmer und tauchte alles in ein silbrig-fahles Licht. Cecilia fröstelte.
Nicolò und seine Mutter waren ausgegangen – nicht gemeinsam natürlich, denn jeder ging seinen eigenen Vergnügungen nach – und waren bestimmt noch nicht wieder zu Hause. Sie selbst hatte alle Einladungen für den heutigen Abend abgesagt und Kopfschmerzen vorgeschützt, um einen Abend in Ruhe verbringen zu können. Unter der Matratze zog Cecilia das Armband mit dem seltsamen Stein heraus, wickelte es sich zweimal ums Handgelenk und schloss die Schnalle. Sie stand auf, zog sich einen Morgenrock über und schlüpfte in weiche Pantoffeln. Im Mondlicht suchte sie nach Zündhölzern auf dem Kaminsims und entzündete eine Kerze.
Mit dem Leuchter in der Hand huschte sie aus dem Zimmer. Der Flur war dunkel und still. Auf dem Teppich waren ihre Schritte kaum zu hören, als sie sich auf den Weg in die Bibliothek machte. Wie eine Geisterjägerin in einem alten amerikanischen Gruselfilm kam sie sich vor. Als Kind hatte sie solche Filme geliebt. »Arsen und Spitzenhäubchen« und wie sie alle hießen.
Die Tür zur Bibliothek öffnete sich mit einem leisen Knarren, und Cecilia zuckte zusammen. Sie schalt sich selbst eine Närrin. Sie entzündete mehrere Kerzen und wunderte sich wieder, wie hell Kerzenlicht sein konnte.
Nach welchem Buch sollte sie suchen, das ihr bei der Rückkehr ins einundzwanzigste Jahrhundert helfen konnte? Es waren so viele Bücher. Cecilia zog wahllos eines aus dem Regal. Es war auf Latein und soweit sie feststellen konnte, das Werk eines jüdischen Arztes aus der Renaissance. Sie seufzte. Latein hatte sie in der Schule gehabt und im Studium gebraucht, aber um einen Text flüssig zu lesen, reichte es nicht aus. Ein Buch über Medizin würde ihr kaum weiterhelfen. Sie stellte es wieder an seinen Platz zurück.
Nicolò hatte gesagt, die Bibliothek wäre wohlgeordnet, aber nach welchem System? Auf den ersten Blick sah es so aus, als wären die Bücher nach Farben und Größe einsortiert. Sie ging an den Regalen entlang und stellte schnell fest, dass es doch ein System gab. Die Bücher waren nach Themengebieten und innerhalb dessen nach Autorennamen sortiert. Das gleiche System wie in modernen Bibliotheken. Am besten suchte sie in der Ecke für Okkultes und Kurioses.
Eine solche fand sie nicht, also dann die theologische Ecke. Der Bereich nahm eine große Anzahl Regalbretter ein. Cecilia leuchtete mit der Kerze an den Buchrücken entlang. Latein war die vorherrschende Sprache. Ziemlich viele Vitae von Päpsten gab es – auch von solchen, von denen sie noch nie gehört hatte. Sie nahm ein schmales Bändchen über einen Clemens den VII. heraus und überflog ein paar Seiten. Der Papst schien ein langweiliger Geselle gewesen zu sein. Dann fand sie Alexander den VI., den Borgiapapst. Schon besser. Über seine Liebesaffären schien aber nichts in dem Buch zu stehen.
»Du suchst etwas über Zeitreisen«, ermahnte sie sich.
So war es ihr schon immer gegangen: in Bibliotheken konnte sie sich verlieren und die Zeit vergessen. Sie entdeckte die Werke der Kirchenväter und endlich einige von Autoren mit
Weitere Kostenlose Bücher