Paloma
Gesicht an seiner Schulter vergraben, umklammerte Paloma ihn weiterhin. Sie kam ihm so klein vor und schwach. So zerbrechlich.
„Weißt du, die Glücksmuschel habe ich noch immer, die du mir mal gegeben hast“, murmelte sie an seiner Brust.
„Ich hab meine auch noch.“ Ja, er hatte sie noch. Irgendwo vergraben bei Palomas Briefen.
„Hat sie dir Glück gebracht?“
Philipp zögerte. Er musste daran denken, dass Paloma ihm die schönere Muschel geschenkt hatte und also musste er wohl mehr Glück gehabt haben als sie, sofern man überhaupt an die magischen Kräfte von Muscheln glaubte. Er sagte deshalb: „Ja, ich denke schon.“
„Das ist schön.“
„Und wie war es bei dir? Hat dir meine Muschel auch Glück gebracht?“
„Ich weiß nicht.“
„Na ja, mit dem Glück ist es so eine Sache ... manchmal hat man vielleicht Glück, aber man merkt es nicht mal.“
Philipp strich Paloma zart über die Schulter. Er spürte, wie sie sich langsam beruhigte, ihr Zittern ließ nach. Plötzlich war jedoch der sich nähernde Motor einer Mobylette zu hören. Mit einem langen Blick lösten die beiden sich voneinander. Philipp sah die Angst in Palomas Augen. Eine Angst, die sie nun schon so lange ertragen musste. Mit einer müden Bewegung zog sie sich ihr Tuch zurecht, das der Sturm ihr von den Schultern gerissen hatte und blickte schweigend zur Tür. Schneeweiß im Gesicht.
Als die Tür geöffnet wurde, kam ein junger Mann in dicker Windjacke und Strickmütze herein, nickte Philipp zu und wandte sich dann an Paloma.
„Ich schau nur kurz rein, um dir Bescheid zu sagen. Tut mir leid, Paloma, wir haben es versucht, aber es ist nicht zu schaffen. Niemand kann heute rausfahren.“
„Ich weiß, Antonio, ich weiß. Trotzdem, danke, dass du gekommen bist und danke für alles, was ihr für meinen Vater getan habt.“
„Er hätte es auch getan, wenn einer von uns draußen geblieben wäre. Ich wünschte nur, wir hätten ihn gefunden.“
Paloma nickte. Die Hände so fest um die Enden ihres Schultertuches geschlossen, dass die Knöchel weiß hervortraten.
„Sobald dieses verdammte Wetter sich legt, fahren wir wieder raus. Wir haben das schon abgesprochen.“ Antonio sah zu Philipp hinüber, als ob er sich fragte, wer er wohl sei.
„Danke. Aber seid vorsichtig. Riskiert nicht zu viel. Versprich mir das.“
Der junge Mann nickte und wandte sich ein wenig unsicher zur Tür. „Was ich dir noch sagen wollte, Paloma ... noch ist nicht alles verloren ... ich denke, dein Vater hat irgendwo in einer Bucht Schutz gesucht, und die anderen denken das auch.“
„Danke“, sagte Paloma mit müder Stimme.
Sie hörten kaum das Motorgeräusch, als der junge Mann seine Mobylette wieder anließ, so heftig tobte der Sturm in diesem Moment. Und dann waren sie wieder allein, aber es war nicht mehr dasselbe wie vorher. Als sie für einen Augenblick Salvador hatten vergessen können. Und auch die Wochen, Monate und Jahre, in denen sie einander aus den Augen verloren hatten. Sie warfen sich kurze, unsichere Blicke zu. Und schließlich begann Paloma, Stühle gerade zu rücken, an denen es nichts zu rücken gab und als das Schweigen fast unerträglich wurde, sagte sie plötzlich: „Du musst jetzt wohl wieder gehen?“
„Nein. Oder möchtest du, dass ich gehe?“
„Ich weiß nicht.“
„Sag, was ich tun soll.“
„Ich weiß nicht einmal, was ich tun soll.“
„Ich wünschte so sehr, das alles wäre deinem Vater und dir erspart geblieben.“
„Ja, ich weiß.“ Paloma schwieg einen Moment, dann sagte sie: „Meinst du, wir könnten zur Cala Sahona rausfahren?“
Philipp wusste nicht, was er darauf antworten sollte. Ihm war klar, dass Paloma nicht irgendwohin an der Cala Sahona wollte, sondern zu der Bucht, wo Salvador sein Boot liegen hatte. Und er hätte ihr gerne den Anblick der jetzt wohl leeren Bootshütte erspart.
„Ich muss einfach unten am Wasser sein, ich muss, verstehst du?“
Ja, Philipp verstand. Salvador war auf dem Wasser und Wasser bedeutete für Paloma vermutlich eine Art Nähe zu ihm. Schweigend gingen sie zu seinem Auto hinaus.
Anfangs bekamen sie den Sturm nicht sehr zu spüren. Die neue Straße zu den Hotels an der Cala Sahona führte ein Stück weit durch einen Pinienwald, der noch einigermaßen Schutz bot. Als sie aber die Hotels hinter sich gelassen hatten und die Straße in einen holprigen Camino überging, der zu einem kahlen, hoch über dem Wasser gelegenen Felsplateau führte, waren sie ihm
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