Palzki 09 - Ahnenfluch
Der Saal war mit gelben Vorhängen ausgestattet. In der Mitte stand ein riesiger Tisch mit seltsam geschwungenen Formen. Na ja, dachte ich, alles Geschmackssache. Wir gingen weiter in den Rittersaal, der kein Mobiliar hatte, dafür so groß wie eine Gymnastikhalle war. Die komplette Decke war mit einem Gemälde überzogen und zahlreiche Kronleuchter hingen von dort herab.
»Das ist also der Rittersaal«, stellte ich fest. »Fast so groß wie das Büro von KPD.«
»Wie bitte, was meinen Sie?«
Ich winkte ab. »War nur ein Insiderwitz. Schön ist es hier. Warum steht der Raum leer? Hat man kein altes Zeug, das man da reinstellen kann?«
»Das wäre nicht angebracht, Herr Palzki. Den Rittersaal kann man nämlich mieten. Hier finden regelmäßig Trauungen und andere Veranstaltungen statt. Am nächsten Samstag gibt es zum Beispiel eine Autorenlesung.«
Ich beschloss, fürs Erste genug gesehen zu haben. »Ah, da ist ja die Tür«, tat ich überrascht und ging auf sie zu. Enttäuscht registrierte ich, dass sie überhaupt kein Schlüsselloch besaß.
»Sehen Sie, Herr Palzki. Ihr Schlüssel macht bei uns keinen Sinn. Abends wird das komplette Museum abgeschlossen, da brauchen wir keine Schlüssel für die einzelnen Räume. Selbstverständlich haben wir eine raffinierte Alarmanlage.«
»Wie macht man die aus?«, quatschte Paul dazwischen.
Rocksinger lächelte. »Dazu muss man in den Brunnenschacht zu den Ratten klettern.«
»Dann nehme ich halt meine Schwester mit«, sagte mein Sohn mit einer gewissen Coolness.
Wir verließen den Rittersaal und befanden uns direkt vor dem Treppenhaus, das vom Volumen her betrachtet größer als unser Haus war. Unten angekommen bog der Schlosschef rechts ab.
»Ich zeige Ihnen noch geschwind die Räume im Erdgeschoss. Passen Sie ein bisschen auf, es wird gerade umgebaut.«
Wir kamen in einen länglichen Saal, der eher den mir bekannten Charakter eines Museums hatte, auch wenn die meisten Vitrinen mit Laken abgehängt waren. Überall standen hölzerne Trennwände herum und in den Ecken lagerte Baumaterial. Paul hatte sich losgerissen und schob an den Vitrinen die Laken beiseite. Ohne diese Tücher hätte ihn der Inhalt der Vitrinen mit Sicherheit nicht interessiert. Rocksinger ließ ihn gewähren. »Das ist nur als Staubschutz gedacht. Die Ausstellungsstücke sind gut gesich…«
»Boah«, schrie Paul quer durch den Saal. »So eine Armbrust will ich auch haben.«
Sofort stand eine Aufsicht mit zorngerötetem Gesicht neben Paul. Rocksinger konnte gerade noch einen Eklat verhindern. »Es wäre gut, wenn du nicht mehr so laut schreien würdest. Das macht man in einem Museum nicht.«
Paul hatte nicht zugehört. »Darf ich die mal rausholen und damit rumballern? Damit knall ich die ekligen Schleimmonster im fünften Level ab.«
Normalerweise müsste ich nun peinlich berührt zu Boden blicken und mich dafür schämen, dass mein Sohn zu viel Computer spielt. Doch darum konnte ich mich später kümmern. Ich stand hinter Paul und schaute ebenfalls in die Vitrine. Freilich war mein Blick nicht auf der Armbrust fixiert, sondern auf den Pfeil, der neben der Waffe an der Rückwand hing. Er sah genauso aus wie das Teil, das gestern in meinem Arm steckte. Im gleichen Moment begann auch wieder das unangenehme Ziehen der Wunde. Ich versuchte, es zu ignorieren, denn wie ich wusste, konnte man sich Schmerzen auch einbilden. Es half leider nicht.
»Was haben Sie, Herr Palzki?«, fragte mich der Schlosschef, weil er über mein Interesse an dem Inhalt der Vitrine staunte.
Ich zeigte auf die Waffe. »Wem gehört die?«
»Die Armbrust?«, fragte er zurück. »Ich weiß es gar nicht so genau. Vermutlich gehörte sie Carl Theodor, der war Jäger und Großmeister des Hubertusordens. Wahrscheinlich ist er auch mit dem bekannten Lied ›Der Jäger aus Kurpfalz‹ gemeint. Warum interessiert Sie das?«
»Weil mit so einem Pfeil gestern auf mich geschossen wurde!«
Rocksinger bekam eine Maulsperre. »Mit einer Armbrust? Das ist das Kurioseste, was ich seit Langem gehört habe.«
»War in der Vitrine immer nur ein Pfeil oder fehlt da einer?«
Bevor er antworten konnte, fiel mir ein, dass der Pfeil, mit dem auf mich geschossen wurde, nur eine Kopie war.
»Da weiß ich auch nicht Bescheid, Herr Palzki. Ich bin kein Kunsthistoriker. Da muss ich erst nachfragen. Aber die Sache ist schon sehr merkwürdig: erst der Schlüssel, dann der Pfeil.«
Und vielleicht die Kleider, dachte ich im Stillen und nahm mir
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