Pampelmusenduft (St. Elwine) (German Edition)
Obwohl er schon zu frieren begann, blieb er stehen und beobachtete im Licht, das von der beleuchteten Veranda herüber schien, das Herabsinken der Schneeflocken. Am frühen Abend noch, war es mehr ein leichtes Rieseln gewesen. Seit Stunden hatten sich die zarten Kristalle zu dicken Flocken zusammen geballt und waren lautlos auf die frostharte Erde gefallen. Morgen würde er in sein eigenes Haus zurückkehren. Er freute sich darauf. Hatte er doch lange genug darauf warten müssen. Ihm wurde plötzlich bewusst, dass er dann Charlotte Svenson nicht mehr so oft begegnen würde. Es war lächerlich, aber dieser Gedanke versetzte ihm einen Stich. Einsamkeit senkte sich auf seine Schultern. Irgendwo hatte er einmal gehört, dass nur ein Schwäc h ling oder ein Mensch, der geliebt werden wollte, Einsamkeit empfand. War das so? Wenn es stimmte, dann musste er sich zwangsläufig fragen, wie es um ihn stand. Es blieb abzuklären, ob er ein Schwächling war oder tatsächlich geliebt werden wollte. Tyler befürchtete allerdings, dass auf ihn beides zutraf. Doch welche Frau wollte schon einen Schwäc h ling an ihrer Seite haben? Ein Schwächling und ein Feigling, sinnierte er, waren nahezu das Gleiche. Und wollte er wirklich geliebt werden? Wahrscheinlich traf dies zu. Aber das tief in seinem Innern verwurzelte Misstrauen allen Menschen gegenüber, hatte ihm dabei stets im Weg gesta n den.
Bevor Tyler sie hörte, stieg ihm ihr unverwechselbarer Duft in die Nase.
„Schön, nicht wahr?“ Charlotte hatte sich einen langen, dicken Wollschal um den schlanken Hals gewickelt. „Ich liebe Schnee. Neben me i nem Daddy und meinem Großvater habe ich den Schnee am meisten vermisst, als Mom und ich damals St. Elwine verließen.“
Er musterte sie aufmerksam. „Ja, es hat was romantisches, dem Tanz der Flocken zu zuschauen.“
„Ich wette, Sie als Südstaatler hassen Schnee und Eis.“
„So in etwa, ja. Besonders abscheulich ist die Kälte, die einem überall hin kriecht.“
Charlotte lachte laut auf. „Dann sollten Sie lieber rein gehen, bevor Sie sich noch eine Erkältung einfangen.“
„So schlimm wird´s schon nicht werden.“
Sie schwiegen lange Zeit. Charly stand einfach nur reglos da, mit tief in den Nacken gelegtem Kopf. Die Schneeflocken ließen sich sachte auf ihrem Gesicht nieder. Es kitzelte und ihr Mund verzog sich zu einem Lächeln.
Tyler schaute ebenfalls zum Himmel hinauf. „Ich gehe morgen zurück“, sa g te er beiläufig.
Sie musste all ihre Kraft zusammen nehmen, um nicht gegen die plötzliche Traurigkeit aufzubegehren. „Wäre es nicht besser, noch bis nach den Feiertagen zu warten?“ Während sie die Frage in aller Ruhe stellte, schaute sie nach wie vor unverwandt nach oben. Sie spürte die Feuchtigkeit auf ihren Wangen, die vom Schmelzen der Schneekristalle herrührte. Oder waren es Tränen, die da über ihr Gesicht liefen?
„Nein.“ Tylers Stimme klang fest und entschlossen.
„Nun, dann sollten Sie das wohl tun“, antwortete Charlotte ebenso bestimmt.
„Vielen Dank für Ihre Gastfreundschaft und ...“
„Ja?“
„Haben Sie vielen Dank für alles“, wiederholte er lediglich.
Ohne sie noch einmal anzusehen, drehte er sich um und stapfte davon.
Charly hörte, wie er sich am Häuschen den Schnee von den Füßen trat. Kurz darauf schloss sich die Tür hinter ihm. Es war sicher besser so. Dann kehrte in ihrem Haus endlich wieder Normalität ein. Hier im Dunkeln hatte sie seine Gesichtszüge nicht genau erkennen können. Doch seine verstohlenen Blicke in ihre Richtung, in den vergangenen Tagen, waren ihr keineswegs verborgen geblieben. Sie hatte erst kürzlich in e i nem Roman gelesen, dass die Augen eines Menschen der Spiegel der Seele waren. Nun, wenn dem so war, dann tat sich in O´Brians Seele ein ganzer Abgrund auf. Sie hätte zu gern gewusst, warum er fast immer j e ne Traurigkeit mit sich herum trug. Aber schließlich ging sie das nichts an. Es war idiotisch, doch Charly spürte, dass sich nun tatsächlich Tränen mit dem schmelzenden Schnee vermischten.
Die Feiertage kamen und gingen. Den ersten davon verbrachten Charlotte und Don bei den Reinholds, Dons Schwester und deren Familie. Sie nutzte die Gelegenheit, Irene nach dem Arrangement der Quiltblöcke zu befragen. Deren Vorschlag lautete: die eigenen Streifenei n heiten nach dem Bauchgefühl auslegen und anschließend zu fotografi e ren. Danach sollten sich alle Quilterinnen die Blöcke reihum austa u schen, das Top neu
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