Pampelmusenduft (St. Elwine) (German Edition)
erneut übel und er musste sich wieder übergeben. Die Ärztin horchte seine Lunge ab und versorgte die Platzwunde an seiner Augenbraue. Sie ordnete ein Schädel- und Abdomen CT an und notierte etwas auf ein Krankenblatt. Eine Schwester nahm ihm Blut ab. Sie war noch sehr jung und schien erst zu lernen. Er wurde langsam ungehalten, denn sie brauchte mehrere Anlä u fe.
„Herrgott - noch mal!“, zischte Tyler und biss sich in die Unterlippe.
Nach dem CT döste er ein wenig ein. Dr. Rosenthal entdeckte, anhand der Aufnahmen, alte Frakturen und konnte nun ihre Schlüsse ziehen. Das volle Ausmaß seiner Traurigkeit ließ sich jedoch nur erahnen. Sie diagnostizierte eine schwere Gehirnerschütterung. Er würde eine Woche zur Beobachtung im Krankenhaus bleiben müssen, erklärte sie ihm.
„Wo ist meine Mom?“, wollte er lediglich wissen.
„Ist sie denn im County?“, fragte die Ärztin nach.
„Weiß hier überhaupt einer was?“, stieß er trotzig aus.
Dr. Rosenthal warf ihm daraufhin einen langen, strengen Blick zu. „Die Schwester bringt dir gleich einen Patientenkittel. Du ziehst dich um und dann suchen wir ein Bett für dich auf der Station.“
Es dauerte tatsächlich nicht lange, bis die junge Lernschwester wieder au f tauchte. „Brauchst du Hilfe?“, fragte sie freundlich.
„Ich bin schon groß“, fauchte er sie an.
„Das glauben alle. Na, mach schon!“, meinte sie wenig beeindruckt. „Ich h a be auch noch was anderes zu tun.“
„Verschwinde!“, sagte Tyler kaltschnäuzig.
Sie tat ihm schulterzuckend den Gefallen. Als er sich aufsetzte, drehte sich jedoch die ganze Welt um ihn. Er mühte sich mit der Hose ab, der Schweiß brach ihm aus. Schließlich schaffte er es. Tyler musste erst einmal ve r schnaufen.
Die junge Schwester kam mit einer fahrbaren Trage zurück. „Dann steig mal rüber, Großer!“ Plötzlich veränderte sich ihr Tonfall jedoch. „Hey, wo kommt denn der Blutfleck her?“
Tyler erstarrte.
„Ich hole Dr. Rosenthal.“
„Das ist nicht nötig.“
„Was weißt du denn schon - hm?“, konterte sie jetzt leicht verärgert.
„Hast du eine Verletzung von der ich nichts weiß, Tyler?“, fragte ihn die Kinderärztin behutsam.
Er antwortete nicht, sah sie nicht einmal an.
„Du verschweigst mir etwas, nicht wahr?“
Er gab noch immer keinen Laut von sich.
„Wenn du mir nichts sagst, kann ich dir nicht helfen.“
„Mir kann sowieso keiner mehr helfen“, sagte er schließlich leise.
Dr. Rosenthal begann zu ahnen, dass er Recht hatte. Sie nahm sich seine Unterhose und warf einen Blick hinein. Verlegen wandte er sich ab.
„Es ist noch mehr passiert bei euch Zuhause, stimmt´s? Er hat dich nicht nur misshandelt, sondern auch missbraucht“, stellte die Ärztin fest.
Tyler schluckte schwer.
„Ich möchte dich noch einmal untersuchen“, erklärte sie freundlich.
„Nein ... nein, ist nicht nötig. Das hört von allein auf, das tut es immer“, en t gegnete er schwach.
„Du musst keine Angst haben. Ich werde dir nicht wehtun.“ Ihre Stimme klang dabei aufrichtig und einfühlsam.
Tyler glaubte ihr, empfand jedoch brennende Scham.
Sie zog sich bereits Untersuchungshandschuhe über.
„Ich möchte das nicht“, flüsterte er heiser.
„Ich weiß, Tyler. Aber ich kann dir das nicht ersparen.“
Die junge Schwester legte einige Instrumente bereit und musterte ihn mitfühlend.
„Leg dich jetzt auf die Seite und versuch dich zu entspannen!“
„Aber ...“ Zögernd kam er der Aufforderung der Ärztin schließlich nach.
„Zieh die Knie ein bisschen an! Noch ein Stück - ja, so ist´s gut.“
Sein Oberkörper bebte mit einem Mal.
Alarmiert hielt die Ärztin inne. „Tue ich dir weh?“
Er schüttelte den Kopf und begann zu schluchzen.
Dr. Rosenthals Herz zog sich zusammen. „Ich bin gleich fertig, dann kannst du dich ausruhen“, sagte sie tröstend.
Sie nahm noch eine Zellprobe und beendete ihre Untersuchung. „Ist er tot?“, flüsterte sie leise.
„Ja“, brachte Tyler weinend hervor.
„Es wird alles gut, mein Junge.“ Sie konnte nicht anders und wiegte ihn in ihren Armen. Doch sie schaffte es nicht, zu ihm durchzudringen. Der Kummer seiner Seele wog um ein tausendfaches zu schwer. Sie spritzte ihm daher ein starkes Beruhigungsmittel. Er musste unbedingt schlafen.
Am nächsten Tag, während der Visite lag er still, fast teilnahmslos in seinem Bett. Der Trotz, der so lange sein haltgebender Begleiter gewesen war, war nun vollkommen von ihm
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