Pampelmusenduft (St. Elwine) (German Edition)
Blick fest.
Er war ihr auf einmal richtig unheimlich: sein Gesicht war vollkommen ausdruckslos - seine Stimme jedoch nicht. Charlotte begann sich zu fürchten. Unbehaglich antwortete sie: „Natürlich nicht. Wenn die Soz i alarbeiterin seine Verletzungen sieht, wird sie ihn niemals dorthin zurück schicken. Er ist unterernährt und dehydriert. Von dem Schmutz mal ganz zu schweigen. Sollten Sie dann, mit Ihrem Einfluss auf die Medien, die Sache an die große Glocke hängen, muss der Junge nicht zurück. Da g e he ich jede Wette ein.“
„Halt, halt, mal hübsch langsam! Verstehe ich Sie richtig? Nur so aus Interesse, deuten Sie etwa an, ich soll die Angelegenheit in der Presse breit tr e ten?“ Seine Stimme prasselte wie Eissplitter auf sie nieder.
Charlotte nickte verunsichert.
„Vergessen Sie das am besten ganz schnell wieder!“, fauchte er sie an. „Was glauben Sie wohl, wie sich der Junge dabei fühlen würde?“
„Wieso ...“
„Er wird denken, dass ich das, was ihm angetan wurde, für meine Publicity ausnutze. Und überdies landet er in einem netten kleinen Kinde r heim. Da sollte er zumindest vor Schlägen sicher sein. Natürlich wird er auch genug zu essen bekommen. Aber darüber hinaus?“
Tyler funkelte sie aus uralten, wissenden Augen an.
Ein Schauer rann Charlotte über den Rücken, so dass sie lediglich mit den Schultern zuckte und ihn anstarrte.
„Wenn er ein bestimmtes Alter erreicht hat, muss er in ein anderes Heim“, erklärte er ihr ruhig. Seine Stimme hatte jede Schärfe verloren. „Später dann, in das nächste. Er wird kein Zuhause haben - ni e mals.“
Tyler glaubte, vor lauter Verzweiflung ersticken zu müssen. Es gab zu viele Ungerechtigkeiten dieser Art auf der Welt. Viel zu viele.
Eine bedrückende Stille lastete über dem Raum. Er wandte sich abrupt ab, so dass Charlotte nicht mehr in sein Gesicht sehen konnte. Das Aufblitzen von Schmerz in seinen Augen, das sie kurz erhaschen konnte, war fast zu viel für sie. Unwillkürlich streckte sie eine Hand nach ihm aus, zog sie jedoch wieder fort. Leise sagte sie: „Das können Sie doch nicht genau wissen. Vielleicht kommt er auch in eine nette Pflegefamilie. Es gibt unglaubliche Zufä l le.“
„Ach wirklich?“, antwortete er sarkastisch und sah sie jetzt wieder an. „In seinem Alter? Die meisten wollen kleine Kinder - Babys. Machen Sie sich doch nichts vor!“
„Kann ja sein, dass Sie recht haben, O´Brian“ lenkte sie vernünftig ein. „Trotzdem muss der Vorfall gemeldet werden. Ansonsten gibt es mächtig Ärger. Ich könnte die Sache ja mal vorsichtig anbringen, wenn ...“
Tyler unterbrach sie: „Sie wollen doch nicht im Ernst mit dem Sheriff da r über reden?“
Jetzt hatte er einen empfindlichen Nerv getroffen. „Na hören Sie mal! Don ist schließlich kein Unmensch“, schnappte sie.
„Ich schlage vor Lady, Sie gehen jetzt! Mir wird wegen des Jungen schon was einfallen. Ich kümmere mich darum. Und bis dahin zu keinem ein Wort, haben wir uns verstanden?“ Er richtete sich zur vollen Größe auf.
Wie sie das hasste. Ihre Blicke trafen sich zu einem stummen Schlagabtausch. Er wollte ihr drohen? Charlotte überlegte ernsthaft, ob sie ihm nicht ihr Knie zwischen die Beine rammen sollte, entschied sich aber letztendlich dagegen.
„Vorerst werde ich nichts sagen“, versprach sie schließlich. „Aber sollte mich irgendjemand nach einem Jungen fragen, werde ich wahrheitsgemäß antworten, verlassen Sie sich drauf. Und noch was. Wagen Sie es nie wieder, in meinen persönlichen Sachen herum zu wühlen und sei es auch nur zum Zwecke der Anschauung! Haben Sie das versta n den, Mr. O´Brian?“
Er zog eine Augenbraue in die Höhe und musterte sie spöttisch. „Sicher, Dr. Svenson. Sein Sie nur nicht so pingelig wegen der Tampons!“
Charlotte war drauf und dran ihm eine runter zu hauen. Das er damit völlig richtig lag, versetzte sie erst recht in Wut. Sie knallte die Tür hinter sich zu und hastete die Treppe hinunter. Schnurstracks eilte sie zu i h rem Wagen.
Ryan schlang die Sandwichs, den Pudding und den Schokoriegel herunter. Anschließend kippte er sich den Orangensaft hinter. Er kniff wä h rend des Trinkens seine Augen zusammen und beobachtete den Mann genau. Er sah ein bisschen aus, wie ein Seeräuber, überlegte Ryan. Aber das lag wahrscheinlich nur an dem schwarzen Tuch und dem Ohrring. Immerhin hatte er ihm zu essen gegeben. Er grübelte, wo er dieses G e sicht schon einmal gesehen hatte. Es
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