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Pamuk, Orhan

Pamuk, Orhan

Titel: Pamuk, Orhan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rot ist mein Name
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und Ordnung gesorgt hatten, und stellte mir
unwillkürlich vor, wie eine Ehe für den ledigen Mann nicht nur neuen
Aufschwung und Segen in sein Haus, sondern auch in sein Geschäft, seine
Tätigkeit bringen könnte, und überließ mich den Barbiergenüssen aus Rosenduft,
warmem Wasser und Seife.
    Wieviel Zeit verging, weiß ich
nicht. Entspannt durch die wohlige Wärme des Kohlenbeckens und die geschickten
Finger des Barbiers, stand ich kurz davor, nach so viel Pein und Mühsal heute
plötzlich das größte Geschenk des Lebens gleichsam ohne Gegenleistung
entgegenzunehmen, war dem Allmächtigen dankbar, aber auch von großer Neugier
erfüllt, auf welchem Gleichgewicht welcher mysteriösen Waage die von Ihm
geschaffene Welt beruhen mochte, empfand Trauer und Mitleid für den Oheim
Efendi, dessen Leiche in jenem Haus lag, dessen Herr ich ein wenig später
werden sollte, und machte mich zum Empfang der großen Gabe bereit, als sich an
der offenen Tür der Barbierstube etwas bewegte, so daß ich mich umsah: Şevket!
    Erregt, doch selbstsicher hielt er
mir ein Papier entgegen. Ohne etwas zu sagen, las ich, die schlimmste Nachricht
erwartend und von einem kalten Schauer ergriffen: »Ohne einen Brautzug heirate
ich nicht, Şeküre.«
    Ich packte Şevkets Arm und zog
den sich Sträubenden auf meinen Schoß. »Aber gern, meine Liebste!« hätte ich
meiner lieben Şeküre schreiben wollen, doch woher Stift und Tintenfaß
nehmen in dem Laden eines Barbiers, der des Schreibens und Lesens unkundig
war? Also flüsterte ich Şevket mit wohlüberlegter Vorsicht ein für seine
Mutter bestimmten »Einverstanden!« ins Ohr. Im gleichen Flüsterton fragte
ich, wie's dem Großvater gehe.
    »Er schläft!«
    Jetzt begreife ich, daß auch ihr wie
Şevket (der natürlich auch noch andere Dinge argwöhnt) mich wegen des
Oheims Tod verdächtigt. Schade! Ich küßte ihn gegen seinen Willen. Er ging
fort, ohne die geringste Zuneigung zu mir zu bezeigen. Noch von weitem warf er
mir in seinen Festtagskleidern, die er für die Hochzeit angelegt hatte,
feindliche Blicke zu.
    Da Şeküre nicht vom Haus des
Vaters in das des Bräutigams zog, sondern im Gegenteil ich als neuer Bewohner
in das Haus ihres Vaters kam, war ein Brautzug angemessen bei dieser
besonderen Gelegenheit. Ich konnte natürlich nicht, wie bei anderen üblich,
meine reichen Verwandten und Freunde einkleiden und Pferde besteigen lassen, um
vor Şeküres Tür zu erscheinen. Dennoch nahm ich zwei meiner alten
Jugendfreunde, die mir im Lauf der letzten Tage nach meiner Rückkehr in die
Stadt begegnet waren (einer war Sekretär geworden wie ich, der andere betrieb
ein Hamam) und mir Glück wünschten während der Rasur, und auch meinen lieben
Barbier mit, der in Tränen ausbrach, und bestieg selbst mein weißes Pferd. So
machten wir uns auf den Weg, um vor der Tür meiner lieben Şeküre zu
erscheinen, als würden wir sie von dort zu einem anderen Haus in ein anderes
Leben führen.
    Als Hayriye das Tor öffnete, gab ich
ihr einen guten Bakschisch. Aus dem Haus drangen Weinen, Schluchzen, Seufzer,
Schreie (eine Frau schimpfte ihre Kinder aus) und »maşallah«- Rufe, während Şeküre
in ihrem hochroten Brautgewand und vom Kopf bis zu den Füßen mit rosigem
Lametta bedeckt herauskam und gewandt auf das zweite Pferd stieg, das wir
mitführten. Nachdem ein seltsamer Trommler und ein Oboenspieler, die der
Barbier im letzten Augenblick gefunden hatte, einen langsamen Hochzeitsmarsch
zu spielen begannen, setzte sich unser ärmlicher, trauriger und dennoch stolzer
Brautzug in Bewegung.
    Bei den ersten Schritten der Pferde
begriff ich, daß dieser Brautumritt etwas war, was Şeküre schlau
eingefädelt hatte, um ihrer Eheschließung eine sichere Grundlage zu
verschaffen. Durch diesen Umritt erfuhr, wenn auch in letzter Minute, das
ganze Viertel von unserer Hochzeit, und da sie somit allseits Anerkennung erreichte,
würden spätere Einwände gegen unsere Verbindung von vornherein abgeschwächt.
Andererseits brachte die öffentliche Bekanntmachung, der deutliche Fingerzeig,
der auf unsere Feinde, auf die Familie von Şeküres verschollenem Ehemann,
wie eine Herausforderung wirken mußte, unsere bevorstehende Vermählung auch
von Anfang an in Gefahr. Wäre es nach mir gegangen, hätte ich Şeküre
heimlich geheiratet, ohne Hochzeitsfeier und ohne daß irgend jemand etwas
davon erfuhr, wäre so ihr Ehemann geworden und hätte die Eheschließung später
verteidigt.
    Während ich auf meinen

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