Pamuk, Orhan
grobe Kruppe sah, war er tief enttäuscht und ließ alle
Pferde im Lande töten. Am Ende dieser vierzig Tage währenden Metzelei flossen
die Bäche des Landes kummervoll in der Farbe des Blutes dahin. Weil aber dieser
neue Schah den Heeren seines Feindes, des Turkmenenfürsten Karakoyunlu, keine
Reiterei entgegenstellen konnte, sorgte Allahs Gerechtigkeit dafür, daß er
besiegt und zerstückelt wurde. Niemand sollte sich grämen darüber, daß der
Pferde Blut ungerächt bleiben könne, wie es bei den Büchern geschehen war.
36
Mein Name ist Kara
Nachdem sich Şeküre mit den Kindern in
ihr Zimmer zurückgezogen hatte, horchte ich eine lange Zeit auf das endlose
Knistern und Knacken im Innern des Hauses. Einmal fingen Şevket und Şeküre
an zu flüstern, doch die Mutter brachte ihren Sohn mit einem hastigen »Pst!«
zum Schweigen. In demselben Augenblick hörte ich vom Brunnen, von den
Steinfliesen her ein Geräusch, doch es folgte nichts weiter. Danach wurde meine
Aufmerksamkeit auf eine Möwe gelenkt, die sich auf dem Dach niederließ, aber
auch sie zog die Stille vor, in die sich alles einhüllte. Später hörte ich von
der anderen Seite des Flurs her einen Klagelaut, der aus tiefstem Herzen kam,
und ich begriff, daß es Hayriye war, die im Schlaf weinte. Das Klagen ging in
Husten über. Der explodierte plötzlich, brach dann ab, und alles versank in
dieser unendlichen, grauenhaften Lautlosigkeit. Doch bald darauf wieder meinte
ich, jemand wandere durch jenen Raum, in dem die Leiche meines Oheims lag, und
ich erstarrte.
Während der stillen Augenblicke
betrachtete ich die Bilder vor mir und sah in meiner Phantasie, wie der
ehrgeizige Olive, Schmetterling Schönauge oder der selige Illuminator die
Farben aufgetragen hatte. Mir war, als müsse ich, wie es der Oheim in manchen
Nächten getan hatte, die Bilder einzeln ansprechen und »Teufel« oder »Tod«
sagen, doch ich hielt mich ängstlich zurück. Diese Bilder hatten mir ohnehin
reichlich Ärger bereitet, weil ich dem ständigen Drängen des Oheims zum Trotz
nicht imstande gewesen war, die passenden Geschichten dafür zu schreiben. Und
da mir nach und nach klar wurde, daß sie zweifellos die Ursache seines Todes
waren, empfand ich Angst und auch Ungeduld – hatte ich sie doch mehr als genug
betrachtet, während ich dem zuhörte, was der Oheim erzählte, nur um Şeküre
nahe zu sein. Warum sollte ich jetzt noch, nachdem sie meine Frau war, mein
Augenmerk auf diese seltsamen Dinger richten! »Weil Şeküre, sogar nachdem
die Kinder einge schlafen sind, nicht aus dem Bett aufgestanden und zu dir
gekommen ist«, sagte eine mitleidlose Stimme in meinem Innern. Während ich
die Bilder im Kerzenlicht betrachtete, wartete ich lange Zeit geduldig und
hoffte, mein schönes Schwarzauge würde zu mir kommen.
Als ich morgens von Hayriyes
Schreien geweckt wurde, ergriff ich den Leuchter und rannte auf den Flur. Für
einen Augenblick glaubte ich, Hasan sei mit seinen Männern in das Haus
eingedrungen, und wollte die Bilder verstecken. Doch gleich darauf wurde mir
klar, daß Hayriye schrie, weil es ihr Şeküre befohlen hatte, um so den
Kindern und den Nachbarn das Hinscheiden des Oheims zu verkünden.
Wir umarmten uns, Şeküre und
ich, als wir uns auf dem Flur trafen. Die Kinder, von Hayriyes Lamento aus dem
Bett gerissen, standen verschüchtert da.
»Euer Großvater ist gestorben«,
sagte Şeküre zu ihnen. »Ihr dürft das Zimmer auf keinen Fall betreten!«
Sie ließ mich los, ging zu ihrem
Vater und begann zu weinen.
Ich brachte die Kinder wieder in ihr
Zimmer zurück, sagte: »Zieht euch an, ihr werdet sonst frieren« und setzte mich
an den Rand des Bettes.
»Mein Großvater ist nicht heute
morgen, sondern gestern nacht gestorben«, erklärte Şevket.
Eins der schönen langen Haare Şeküres
hatte den Buchstaben Vav auf das Kissen gezeichnet, der zu mir sprach. Die
Steppdecke barg noch immer Şeküres Wärme. Wir hörten, wie sie jetzt gemeinsam
mit Hayriye lauthals jammerte und weinte. Ich fand dieses laute Geschrei,
welches das unerwartete Hinscheiden ihres Vaters erst heute früh bezeugen
sollte, so erschreckend unecht, daß mir Şeküre fern und unbekannt erschien
und ich meinte, in ihr hause ein fremder Geist.
»Ich habe Angst«, sagte Orhan mit
einem Blick, der um die Erlaubnis zum Weinen bettelte.
»Habt keine Angst«, sagte ich. »Eure
Mutter weint, damit die
Nachbarn
vom Tod eures Großvaters erfahren und herkommen.«
»Und wenn
sie kommen, was
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