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Pamuk, Orhan

Pamuk, Orhan

Titel: Pamuk, Orhan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rot ist mein Name
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das Blut meines
Vaters nicht an meinen Händen klebe, werde er mich und die Kinder nach Hause
bringen und an uns Vaterstelle vertreten, bis sein Bruder aus dem Krieg zurückkomme.
Sei ich aber schuldig, dann hätte ich als Frau, die ihren Mann erbarmungslos
verläßt, während er im Krieg sein Blut opfert, sowieso jede Art von Strafe
verdient. Nachdem wir uns das geduldig angehört hatten, wurde es plötzlich
still hinter den Bäumen.
    »Wenn du jetzt freiwillig in das
Haus deines richtigen Ehemanns zurückkehrst«, sagte Hasan in einem ganz anderen
Ton, »wenn du jetzt deine Kinder nimmst, dich von niemandem sehen läßt und fein
still und leise nach Hause kommst, dann werde ich dieses Theater mit der
falschen Ehe, die Dinge, die ich hier heute abend erfahren habe, all eure
sträflichen Vergehen vergessen, werde alles verzeihen. Jahrelang werde ich
geduldig mit dir zusammen auf die Rückkehr meines älteren Bruders warten, Şeküre.«
    War er betrunken? In seiner Stimme
lag etwas so Kindliches, daß ich in Sorge war, es könnte ihn das Leben kosten,
was er mir jetzt in Gegenwart meines Ehemannes antrug.
    »Verstehst du?« fragte er zwischen
den Bäumen hervor.
    Wo er sich genau befand, konnte ich
in der Finsternis nicht ausmachen. Hilf Du uns, Allah, Deinen Knechten, die
wir alle Sünder sind!
    »Weil du nicht mit dem Mörder deines
Vaters unter einem Dach leben kannst, Şeküre, das weiß ich!«
    Einen Augenblick dachte ich, daß
vielleicht er es war, der meinen Vater umgebracht hatte. Und er hielt uns
jetzt womöglich zum Narren. Er war ein Teufel, dieser Hasan, doch ich konnte
mich auch irren.
    »Hör zu, Hasan Efendi«, sagte Kara
ins Dunkle hinein. »Mein Schwiegervater ist ermordet worden, das stimmt. Ein
übler Kerl hat ihn umgebracht.«
    »Er ist vor der Hochzeit ermordet
worden, nicht wahr?« fragte Hasan. »Ihr habt ihn umgebracht, weil er gegen
diesen Schwindel mit der Heirat, die abgekartete Scheidung, die falschen
Zeugen, gegen eure Betrügereien war. Wäre Kara in seinen Augen ein rechter
Mann gewesen, dann hätte er ihm seine Tochter nicht erst jetzt, sondern schon
vor Jahren gegeben.«
    Weil er all die Jahre mit meinem
seligen Mann und uns zusammengelebt hatte, kannte er unsere Vergangenheit
genauso gut wie wir. Noch schlimmer war, daß sich Hasan mit der Leidenschaft
des eifersüchtigen Liebenden an alles erinnerte, was mein Ehemann und ich zu
Hause besprochen, was wir vergessen hatten und was ich jetzt vergessen wollte.
Über die Jahre hatte sich so vieles angesammelt, was an ihn und seinen Bruder
erinnerte, daß ich fürchtete, ich würde spüren, wie fremd, neu und fernstehend
Kara für mich war, wenn Hasan jetzt davon zu erzählen begänne.
    »Wir haben den Verdacht, daß du es
warst, der ihn ermordet hat«, sagte Kara.
    »Ihr habt ihn ermordet, damit ihr
heiraten konntet. Das ist doch klar. Ich hatte keinen Grund, ihn umzubringen.«
    »Du hast ihn ermordet, damit wir
nicht heiraten konnten«, gab Kara zurück. »Als du von Şeküres Scheidung
und der Heiratserlaubnis für uns hörtest, hast du den Verstand verloren. Du
warst ohnehin wütend auf den Oheim Efendi, weil er Şeküre ermutigt hat,
nach Hause zurückzukehren. Du wolltest dich an ihm rächen. Weil du wußtest, daß
du, solange er lebte, Şeküre niemals bekommen konntest.«
    »Red nicht herum«, sagte Hasan
bestimmt. »Das muß ich mir nicht anhören. Es ist sehr kalt hier. Bis ich euch
mit Steinewerfen aufmerksam machen konnte, bin ich fast erfroren. Ihr habt mich
einfach nicht gehört.«
    »Kara hat sich drinnen Vaters Bilder
angesehen«, erklärte ich.
    War es falsch gewesen, das zu sagen?
    Mit demselben künstlichen Unterton,
den ich manchmal ungewollt während eines Gesprächs mit Kara annahm, sagte
Hasan: »Frau Şeküre, du tust am besten, wenn du als Ehefrau meines älteren
Bruders deine Kinder an die Hand nimmst und jetzt sofort in das Haus des Helden
und Spahi zurückkehrst, mit dem du noch immer dem Gesetz nach verheiratet
bist.«
    »Nein«, sagte ich, als flüsterte ich
es der Nacht zu. »Nein, Hasan, nein!«
    »Dann bin ich durch meine
Verantwortung und Bindung meinem Bruder gegenüber dazu verpflichtet, morgen
früh dem Kadi zu melden, was ich hier gehört habe. Dann wird man Rechenschaft
verlangen von mir.«
    »Man wird ohnehin Rechenschaft von
dir verlangen«, sagte Kara daraufhin. »Sowie du zum Kadi gehst, werde ich
öffentlich bekanntgeben, daß du den Oheim Efendi, den geliebten Untertan unseres
Padischahs,

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