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Pamuk, Orhan

Pamuk, Orhan

Titel: Pamuk, Orhan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rot ist mein Name
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nur um zu sterben, geheiratet hatte, sondern die Ungerechtigkeit, mein
Leben unter der Folter im Palast zu verlieren, ohne daß wir einmal wenigstens
das Bett teilen und uns sattsam hätten lieben können.
    Wir gingen nicht auf das Mittlere
Großherrliche Tor zu, dessen Türme ich ängstlich betrachtete und hinter dem die
Folterer und die flinken Henker ihre Arbeit taten, sondern auf die
Schreinerwerkstatt. Während wir uns zwischen den Magazinen hindurchschlängelten,
hob eine Katze, die sich im Morast zwischen den Beinen eines fuchsroten Pferdes
mit dampfenden Nüstern das Fell leckte, den Kopf, schaute uns aber nicht an – sie war ganz mit ihrem eigenen Schmutz beschäftigt, so wie wir.
    Hinter den Magazinen überließ mich
der wortlose Page zwei Männern, an deren grünpurpurner Uniform ich nicht
erkennen konnte, wem sie unterstanden. Sie steckten mich in den dunklen Raum
eines kleinen und, wie mir der Holzgeruch sagte, neu erbauten Hauses und
schlossen mich ein. Dieses Einschließen in einen dunklen Raum gehörte zu den
angsterregenden Methoden vor der Folter, wie mir bekannt war, und so hoffte
ich, sie würden zuerst mit der Bastonade beginnen, und überlegte, welche Lüge
ich erfinden konnte, um aus dieser Angelegenheit heil herauszukommen. Eine
Menge Leute schienen nebenan beisammen zu sein, es herrschte ein ziemlicher
Tumult.
    Wegen meiner munter spöttischen
Ausdrucksweise meint ganz sicher so mancher unter euch, ich würde nicht reden
wie einer, der kurz vor der Folter steht. Hatte ich euch nicht gesagt, daß ich
davon überzeugt bin, ein Knecht Allahs zu sein, der in Seiner Gnade steht?
Falls die nach all dem jahrelangen Leiden in den letzten zwei Tagen über mir
schwebenden Glücksvögel als Beweis dafür nicht ausreichten, mußte der Asper,
den ich draußen vor dem Hof gefunden hatte, von Bedeutung sein.
    Während ich auf die Folter wartete,
fand ich Trost in dem Glauben, die Silbermünze würde mich beschützen, nahm das
Glückspfand Allahs in die Hand, streichelte und küßte es mehrmals. Als sie
mich irgendwann aus dem dunklen Zimmer holten und in einen Raum daneben
brachten, sah ich mich dem Obersten der Gartengarde und seinen kahlgeschorenen
kroatischen Folterknechten gegenüber und begriff, daß auch der Asper wertlos
sein würde. Die mitleidlose Stimme in meinem Innern sagte mir, daß mir die
Münze in meiner Tasche nicht von Allah gesandt worden, sondern den Kindern
entgangen war, weil sie zu den Silberstücken gehörte, die ich vor zwei Tagen
über Şeküres Haupt ausgeschüttet hatte. So blieb mir, als ich meinem
Peiniger übergeben wurde, keine einzige Hoffnung, kein Zweiglein, an das ich
mich hätte klammern können.
    Ohne es richtig zu merken, liefen
mir die Tränen aus den Augen. Ich wollte betteln, flehen, doch ich brachte, wie
im Traum, keinen Ton heraus. Daß der Mensch im Handumdrehen ein Nichts werden konnte,
wußte ich vom Kriegsgeschehen, von Sterbenden, von Morden der Macht wegen und
von Folterungen, deren Zeuge ich von fern geworden war, doch ich hatte es nie
unmittelbar erlebt. Nun beraubten sie mich meiner Welt, wie sie mich meiner
Kleider beraubten.
    Sie zogen mir die Weste und das Hemd
aus. Einer der Schinder setzte sich auf mich und drückte mir mit den Knien die
Schultern zusammen. Der nächste legte mir mit den umsichtigen, erfahrenen
Handgriffen einer Hausfrau, die Speisen zubereitet, einen Käfig über den Kopf
und begann langsam, die Schrauben an beiden Seiten anzuziehen. Es war kein
Käfig, sondern ein Schraubstock, der mir den Schädel einzwängte.
    Ich schrie mit aller Kraft. Ich
flehte, doch in unverständlichen Worten. Ich weinte, doch vor allem, weil ich
die Beherrschung verlor.
    Sie hielten ein und fragten, ob ich
den Oheim Efendi ermordet hätte.
    Ich holte Atem: Nein.
    Und wieder drehte sich die Schraube.
Es schmerzte!
    Wieder fragten sie. Nein. Wer dann?
Ich weiß es nicht.
    Ich wollte einfach sagen: Ich habe
es getan. Doch die Welt drehte sich so hübsch um meinen Kopf herum. Alle
Willenskraft verließ mich. Würde ich mich an den Schmerz gewöhnen können? So
verblieben wir einen Augenblick lang, meine Schinder und ich. Mir tat's
nirgends weh, ich empfand nur Furcht.
    Und wieder glaubte ich wegen der
Münze in meiner Tasche, daß sie mich nicht töten würden, als sie plötzlich von
mir abließen. Sie lösten den Schraubstock, der meinen Kopf in der Tat nur wenig
zusammengepreßt hatte. Der auf mir hockende Folterknecht stieg ab. Doch keine
Rede von einer

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