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Pamuk, Orhan

Pamuk, Orhan

Titel: Pamuk, Orhan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rot ist mein Name
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nächtlich aufsuchenden Buchmalern hatte anfertigen lassen, nochmals voller
Neugier zu betrachten.
    Innerhalb des Rahmens und der
Goldzier, die wie bei den anderen Bildern der arme Fein Efendi ausgeführt
hatte, sah ich auf einem sonst leeren Blatt einen Baum. Ich versuchte mir
vorzustellen, zu welcher Szene in welcher Erzählung er gehören könnte. Sage ich
zu meinen Illustratoren, zeichnet mir einen Baum, dann sehen sie ihn, der liebe
Schmetterling, der kluge Storch und der schlaue Olive, zuerst vor ihrem
inneren Auge als Teil einer Geschichte, um ihn ganz in Ruhe zeichnen zu können.
Wenn ich dann jenen Baum eingehend betrachte, kann ich aus den Zweigen, den
Blättern ersehen, welche Geschichte sich der Illustrator vorgestellt hat.
Dieser Baum jedoch, der arme, war nichts als ein einsamer Baum, hinter ihm gab
es eine sehr hoch angesetzte Horizontlinie, die ihn noch einsamer machte und an
die Methoden der ältesten Altmeister von Schiras erinnerte. Doch in dem leeren
Raum, der durch das Anheben der Horizontlinie entstanden war, gab es nichts
weiter. Auf diese Weise hatte sich der Wunsch, einen Baum wie die fränkischen
Meister abzubilden, nur weil er ein Baum war, mit dem Bestreben der persischen
Meister, die Welt von oben zu sehen, vermischt, und es war ein trauriges Bild
entstanden, das weder fränkisch noch persisch sein konnte. So muß ein Baum am
Ende der Welt beschaffen sein, dachte ich bei mir. Doch meine Buchmaler und der
mangelhafte Verstand des seligen Toren hatte etwas bar jedes Könnens
geschaffen, als sie versuchten, zwei verschiedene Methoden zu vereinen. Es war
das Kunstlose an der Arbeit, was mich zornig machte, nicht aber die Tatsache,
daß sich das Bild aus zwei verschiedenen Sphären speiste.
    Dieses Gefühl verließ mich auch
nicht beim Betrachten der anderen Bilder, dem traumhaft vollkommenen Pferd,
der kummergebeugten Frau. Auch die Auswahl der Motive ärgerte mich, seien es
die beiden wandernden Derwische, sei es der Satan. Kein Zweifel, daß es meine
Illustratoren waren, die jene Bilder dem Buch unseres Sultans einverleiben
wollten. Einmal mehr fühlte ich Ehrfurcht vor dem Ratschluß Allahs, des
Erhabenen, den Oheim abzuberufen, bevor das Werk vollbracht war. Und ich hatte
nicht den geringsten Wunsch, das Buch zu vollenden.
    Wie sollte ich mich nicht über das
Bild dieses Hundes aufregen, der zwar von oben gezeichnet war, aber dicht unter
unserer Nase lag und zu uns aufschaute, als sei er unser Bruder? Denn wenn ich
einerseits das Gewöhnliche an der Haltung des Hundes, das Schöne an dem
drohenden Seitenblick, während er den Kopf zu Boden senkte, und die Wildheit
seiner weißen Zähne, kurz gesagt, die Könnerschaft der Maler dieses Bildes
bewundere (ich bin dabei, herauszufinden, welche Meister hier ihren Pinsel
ansetzten), kann ich andererseits nicht verzeihen, daß diese Könnerschaft der
absurden Logik einer unverständlichen Willensäußerung geopfert wurde. Das
Verlangen, es den fränkischen Meistern nachzutun, ja selbst die Anordnung
unseres Padischahs, das Buch nach einer Methode anzufertigen, die den
Venezianern verständlich sein würde, entschuldigen nicht die Nachahmungssucht
in den Abbildungen.
    Auf einem dichtbemalten Bild, wo ich
sogleich in allen Winkeln den Strich eines meiner Meister bemerkte, erschreckte
mich die Leidenschaft der roten Farbe. Eine mir unbekannte Hand hatte aus einer
rätselhaften Logik heraus das Bild mit einem seltsamen Rot überzogen, hatte die
ganze hier wiedergegebene Welt nach und nach in Rot getaucht. Ich nahm mir die
Zeit, Kara zu erklären, welcher meiner Illustratoren auf diesem dichtbesetzten
Bild die Platane (Storch), die Schiffe und die Häuser (Olive), den
Papierdrachen und die Blumen (Schmetterling) gezeichnet hatte.
    »Ein großer Altmeister wie Ihr, der
viele Jahre das Haupt der ganzen Buchmalerabteilung war, kann
selbstverständlich jedes einzelne Talent der Illustratoren, das Temperament
der Rohrstifte und das Naturell der Pinselstriche eines jeden unterscheiden«,
sagte Kara. »Doch wenn ein so närrischer Buchliebhaber wie mein Oheim die
Illustratoren zwingt, ein neues, unerprobtes Verfahren anzuwenden, wie könnt
Ihr sie dann wiedererkennen und sicher sein, welches der Motive von wem
stammt?«
    Ich begann meine Antwort mit einer
Geschichte: »Es war einmal ein Schah, der über Isfahan herrschte, allein in
seiner Festung lebte und ein Liebhaber der Bücher und der Buchmalerei war. Er
war stark, mächtig, klug, aber auch grausam,

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