Pamuk, Orhan
Entschuldigung! Ich zog mein Hemd und meine Weste an.
Es gab ein lange währendes
Schweigen.
Am anderen Ende des Zimmers
entdeckte ich den Ersten Illustrator Osman Efendi. Ich ging zu ihm und küßte
ihm die Hand.
»Mach dir keine Sorgen, mein Sohn«,
tröstete er mich, »man hat dich nur geprüft.«
Ich wußte sogleich, daß ich anstelle
meines Oheims einen neuen Vater gefunden hatte.
»Unser Padischah hat befohlen, dich
vorläufig nicht zu foltern«, sagte der Oberste der Gartengarde. »Er befand es
für richtig, daß du dem Ersten Illustrator, Altmeister Osman, hilfst, den
schurkischen Mörder zu finden, der seine Illustratoren, seine Untertanen,
umbringt, die sich mit Büchern befassen. Innerhalb von drei Tagen werdet ihr
die von ihnen bearbeiteten Blätter genau betrachten, sie befragen und
herausfinden, wer der heimtückische Kerl ist. Der Herrscher ist äußerst
aufgebracht der Gerüchte wegen, welche die Intriganten über seine Bücher und
seine Buchmaler verbreiten. Wie befohlen werden wir euch, Hazim Agha, der
Schatzmeister des Großherrn und ich, Hilfe leisten, um den Schurken zu finden.
Der eine von euch hat dem verblichenen Oheim Efendi nahegestanden, hat ihm
zugehört, kennt das nächtliche Kommen und Gehen der Illustratoren und ihre
Tätigkeit und die Geschichte des Buches. Der andere ist ein großer Altmeister,
der sich rühmt, alle ihm unterstellten Buchmaler in- und auswendig zu kennen.
Nicht nur dieses Schwein, sondern auch die von ihm gestohlene Bildseite, über
die soviel geredet wird, habt ihr in drei Tagen zu finden. Und sollte euch dies
nicht gelingen, wünscht unser gerechter Padischah, dich, Kara Efendi, mein
Sohn, als ersten unter der Folter befragen zu lassen. Wir zweifeln nicht daran,
daß dann die Meister der Buchmalerabteilung an der Reihe sind.«
Ich konnte kein Zeichen, keinen
heimlich ausgetauschten Blick zwischen den beiden alten Freunden wahrnehmen,
die seit Jahren zusammenwirkten, dem Ersten Illustrator Altmeister Osman und
dem Schatzmeister des Sultans, Hazim Agha, der ihm die Aufträge gab und ihm das
Geld und die Materialien dafür aus dem Schatz zuteilte.
»Wenn in den Quartieren, den
Amtsstuben oder den Handwerksabteilungen unseres Padischahs ein Verbrechen
geschieht, steht die ganze Truppe bis zum Auffinden und zur Auslieferung des
Schuldigen unter Verdacht, wie jeder weiß, und eine Abteilung, die den Mörder
nicht feststellen und ausliefern kann, wird, vom Vorsteher und Meister
angefangen, insgesamt für den Mord verantwortlich gemacht und bestraft«,
erklärte der Gardenoberste. »Aus diesem Grund wird unser Erster Illustrator,
der Altmeister Osman, seine Augen offenhalten, alle Bildseiten genau
inspizieren, wird herausfinden, welche Teufelei, Hinterlist, Verderbtheit und
Meuterei die unschuldigen Buchmaler gegeneinander aufgehetzt hat, wird den
Schuldigen der unanfechtbaren Gerechtigkeit unseres Padischahs, des Schirmherrn
der Welt, ausliefern und damit seine Abteilung von allen Zweifeln entlasten.
Deswegen haben wir dafür gesorgt, daß ihm alles Notwendige gebracht wurde und
gebracht werden wird. Meine Männer sind dabei, aus dem Haus eines jeden
Buchmalermeisters sämtliche illustrierten Seiten einzusammeln und herzubringen.
«
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Ich, Altmeister Osman
Nachdem der Oberste der Gartengarde und der
Schatzmeister des Großherrn die Befehle unseres Padischahs wiederholt hatten
und fortgegangen waren, blieben wir beide allein zurück. Kara war natürlich
müde und niedergeschlagen nach der Prüfung durch die Folter, wegen seiner
Furcht und seinen Tränen. Er war still wie ein Kind. Ich würde ihn
liebgewinnen, das war mir klar, doch ich ließ ihm jetzt seine Ruhe.
Man gab mir drei Tage, um die
Seiten, welche die Männer des Gardenobersten aus den Häusern der Kalligraphen
und Buchmalermeister eingesammelt und hergebracht haben, anzuschauen und
danach den jeweiligen Illustrator zu bestimmen. Ihr wißt, wie sehr mich die
Bilder, die für das Buch des Oheim Efendi angefertigt und von Kara zur eigenen
Entlastung dem Schatzmeister des Sultans ausgeliefert worden waren, beim ersten
Anblick abgestoßen hatten. Zugegeben – auf jenen Seiten, die einen solchen
Widerwillen und Haß in einem Illustrator erregen, der sein ganzes Leben dieser
Kunst gewidmet hat, muß irgend etwas sein, von dem unser Auge nicht lassen
kann. Denn eine Kunst, die nur schlecht ist, ruft in uns nicht einmal
Widerwillen hervor. So begann ich, jene neun Seiten, die der selige Tor von den
ihn
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