Pamuk, Orhan
Drachen zu fangen und Schätze
zu plündern. Als ich schilderte, daß der die Teufel malende Illustrator
Schwarzstift in diesem Album, an dem der Pinsel vieler verschiedener Künstler
beteiligt war, auch Kalenderi-Derwische, kahlgeschoren, in Lumpen gekleidet,
mit eisernen Ketten behangen und dem Krummstab in der Hand, gezeichnet hatte,
hörte Meister Osman aufmerksam zu und ließ sich jede Ähnlichkeit einzeln
wiederholen.
»Es ist seit Jahrhunderten Brauch
bei den Mongolen, den Pferden die Nüstern aufzuschlitzen, damit sie besser Atem
holen und länger laufen können«, erklärte er dann. »Als die Horden des Hülagü
Chan, der mit seinen Pferden alles Land der Araber, Perser und Chinesen
eroberte, in Bagdad eindrangen, alle Bewohner mit dem Schwert töteten, die
ganze Stadt plünderten und alle Bücher in den Tigris warfen, ist der berühmte
Kalligraph und spätere Illustrator Ibn Schakir bekanntlich nicht wie alle
anderen aus der Stadt nach Süden geflohen, um dem Gemetzel zu entkommen,
sondern nach Norden gegangen, von wo die mongolischen Reiter gekommen waren.
In jener Zeit wurden, weil der Koran es verbot, keine Bücher illustriert und
die Buchmaler nicht ernst genommen. Der Begründer unserer Kunst, Altmeister Ibn
Schakir – dem wir nicht nur das größte Geheimnis unseres Berufes verdanken, vom
Minarett auf die Welt hinabzuschauen, sondern auch, offen oder versteckt, die
stets vorhandene Horizontlinie und die lebendige Sichtweise der Chinesen, vom
Gekringel der Wolken bis zum Gekrabbel der Käfer alles in zuversichtlich bunten
Farben darzustellen –, hat auf diesem legendären Reiseweg die Nüstern der
Pferde beobachtet, um in das Kernland der mongolischen Horden zu gelangen, wie
ich vom Hörensagen weiß. Nach einjähriger Wanderschaft durch Wind und Wetter in
Samarkand angekommen, begann er, Bücher zu illustrieren, doch soweit ich
gehört und gesehen habe, war unter den von ihm gezeichneten Pferden keines mit
geschlitzten Nüstern. Denn nicht die kraftvollen, sieghaften mongolischen
Pferde, denen er im reifen Alter begegnete, waren für ihn das traumhaft
makellose Tier, sondern die rassigen Araber seiner glücklichen Jugendzeit, die
er voll Trauer hatte zurücklassen müssen. Aus diesem Grund riefen mir die
merkwürdigen Nüstern jenes Pferdes, das für das Buch des Oheims gemalt wurde,
weder die mongolischen Pferde noch diesen von den Mongolen in Chorasan und
Samarkand eingeführten Brauch ins Gedächtnis.«
Manchmal blickte Meister Osman in
das Album, während er erzählte, manchmal blickte er mich an, doch er schien
nicht uns, sondern nur das zu sehen, was in seiner Phantasie erschien.
»Was durch die mongolischen Horden
außer dem Aufschlitzen der Nüstern und den chinesischen Bildern noch in das
Land der Perser und von dort hierherkam, sind die Teufel in diesem Band. Wie
ihr wohl gehört habt, sind sie die Botschafter des Bösen, das die dunklen,
unterirdischen Mächte freilassen, damit sie uns das Leben und das, was uns lieb
und wert ist, entreißen und uns in die Todesfinsternis der Unterwelt entführen.
In dieser Unterwelt hat alles, Wolken, Bäume, Sachen, Hunde oder Bücher, eine
Seele und spricht.«
»Ja«, bestätigte der alte Zwerg.
»Allah ist mein Zeuge, in mancher Nachtstunde, in der ich hier allein
eingeschlossen bin, werden nicht nur die Geister der chinesischen Teller und
der ohnehin ständig klingenden Kristallschalen, sondern auch die aller
Gewehre, Schwerter, Schilde und blutigen Helme unruhig und beginnen so
geräuschvoll miteinander zu sprechen, daß man meint, die stockfinstere
Schatzkammer habe sich in ein apokalyptisches Schlachtfeld verwandelt.«
»Diesen Glauben haben die Kalenderi-Derwische,
deren Abbild ihr gesehen habt, von Chorasan in das Land der Perser und von dort
zu uns nach Istanbul gebracht«, sagte Meister Osman. »Als Sultan Selim der
Gestrenge Schah Ismail besiegte und den Palast der Acht Paradiese in Täbris plünderte,
hat Bediüzzaman Mirza aus dem Geschlecht der Timuriden Schah Ismail verraten
und ist mit den Kalenderi-Derwischen gemeinsam zu den Osmanen übergelaufen.
Nach dem Sieg über Schah Ismail bei Çaldıran waren auf dem Rückweg des hochseligen Sultan Selim des
Gestrengen im tiefsten Winter nach Istanbul nicht nur zwei Schöne mit weißer
Haut und schrägen Mandelaugen, Ehefrauen des Besiegten, in seiner Begleitung;
sein Troß enthielt auch sämtliche Bücher, die von den vormals in Täbris
Herrschenden, den Mongolen, Ilchaniden,
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