Pamuk, Orhan
streiten, kommen sie nicht zu einer gemeinsamen
Methode.«
Jetzt sah man deutlich den Stolz auf
seinem Gesicht, und der Ausdruck des »traurigen, erbarmungswürdigen Greises«,
den ich so lange darauf bemerkt hatte, war dem zornigen Blick eines trotzigen
Mannes gewichen, der alle Macht in Händen halten wollte.
»Mein verehrter Meister«, sagte ich,
»Ihr konntet hier in Istanbul vielerlei Illustratoren jeder Gemütsart und
jeden Charakters aus allen Teilen der Welt zwanzig Jahre lang in solcher
Harmonie vereinen, daß Ihr schließlich einen osmanischen Stil geschaffen habt.
«
Warum war die Bewunderung, die ich
eben noch von ganzem Herzen empfunden hatte, jetzt, da ich sie ihm gegenüber
aussprach, zu einer Heuchelei geworden? Muß jemand, dessen Talent und
Meisterschaft wir ehrfürchtig bewundern, machtlos und ein wenig armselig sein,
damit wir ihm aufrichtig unser Lob aussprechen können?
»Wo bleibt dieser Zwerg?« fragte er.
Er hatte dies wie einer der
Mächtigen gesagt, die an Schmeichelei und Lob Gefallen finden, sich aber
undeutlich daran erinnern, daß es ihnen eigentlich nicht behagen dürfte – weil
es so aussehen sollte, als wünsche er das Thema zu wechseln.
»Obwohl Ihr ein großer Altmeister
der persischen Legende und Methoden seid, habt Ihr eine andere Welt der
Malkunst geschaffen, die dem Ruhm und der Macht des Osmanen gerecht wird«,
flüsterte ich. »Ihr habt die Macht des osmanischen Schwertes, die zuversichtlichen
Farben des Sieges, die Aufmerksamkeit und Wißbegier für Gegenstände und
Gerätschaften und die Freiheit eines leichteren, friedlichen Lebens in die
Kunst eingebracht. Meister, es ist die höchste Ehre in meinem Leben, hier mit
Euch die Wunder der legendären alten Meister zu betrachten ...«
Auf diese Art und Weise flüsterte
ich noch lange weiter. Das wirre Durcheinander in der Schatzkammer, das einem
verlassenen Schlachtfeld glich, und die Nähe unserer Körper in der dunklen
Kälte verliehen meinem Geflüster eine Art von Vertraulichkeit.
Irgendwann erschien, wie bei manchen
Blinden, die ihren Gesichtsausdruck nicht mehr unter Kontrolle haben, in
Meister Osmans Augen der Blick eines Alten, der sich ganz dem Genuß ergeben
hat. Lange Zeit spendete ich dem alten Mann reichlich Lob, einmal von Herzen
kommend, dann wieder mit jenem schaudernden Widerwillen, den ich gegen Blinde
empfand.
Seine kalten Finger umklammerten
meine Hand, er streichelte meine Arme, berührte mein Gesicht. Seine Macht und
sein Alter schienen von seinen Fingern auf mich überzugehen. Ich dachte an Şeküre,
die mich zu Hause erwartete.
Wir hielten ein wenig, ohne uns zu
rühren, vor den offenen Seiten inne. Es war, als hätten uns meine Lobsprüche
und die Bewunderung und das Mitleid, die er für sich selbst empfand, ermüdet,
so daß wir uns ausruhen mußten. Wir schämten uns voreinander.
»Wo bleibt
der Zwerg?« fragte er noch einmal.
Ganz sicher beobachtete uns der
hinterlistige Zwerg aus irgendeinem Winkel, in dem er sich versteckt hatte. Ich
drehte meine Schultern nach rechts und links, als ob ich ihn suchte, hielt
dabei jedoch meine Augen direkt auf die Meister Osmans gerichtet. War er
blind, oder wollte er jeden, einschließlich sich selbst, glauben machen, er sei
blind? In Schiras sollen einige alte Meister ohne Talent und Können im Alter
Blindheit vorgetäuscht haben, damit man sie achtete und ihnen nicht vorwarf,
sie seien erfolglos gewesen.
»Ich möchte hier sterben«, sagte er.
»Mein großer, werter Meister,
Efendi«, schmeichelte ich ihm. »Ich kann Euch gut verstehen, wenn Ihr so in
diesen schlechten Zeiten sprecht, da nicht die Malkunst, sondern das damit
verdiente Geld, und nicht die alten Meister, sondern die Nachahmer der Franken
hoch im Wert stehen, und es treibt mir die Tränen in die Augen. Doch Euch fällt
auch die Aufgabe zu, Eure Buchmalermeister vor Feinden zu schützen. Bitte, sagt
mir, zu welchem Ergebnis seid Ihr durch die Hofdamen-Methode gekommen? Welcher
Illustrator hat jenes Pferd gemalt?«
»Olive.«
Das sagte er so beiläufig, daß ich
nicht einmal zu staunen vermochte.
Er schwieg eine Weile.
»Aber Olive hat weder deinen Oheim
noch den armen Fein Efendi ermordet, dessen bin ich mir sicher«, erklärte er
ruhig. »Da Olive den alten Meistern am tiefsten verbunden ist, die Herater
Legenden und Methoden am besten und innigsten kennt und die Ahnenreihe seiner
Lehrmeister bis nach Samarkand zurückgeht, schließe ich daraus, daß er das
Pferd gemalt hat. Ich
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