Pamuk, Orhan
Dschalajiriden und derer vom Schwarzen
Hammel, zurückgeblieben waren, wie auch solche, die der Geschlagene bei den
Usbeken, Persern, Turkmenen und Timuriden geplündert und seiner Bibliothek im
Palast der Acht Paradiese einverleibt hatte. Ich werde diese Bücher so lange
anschauen, bis mich unser Padischah und sein Schatzmeister von hier entfernen.«
Doch in seinem Blick lag bereits die
Ziellosigkeit, die man bei den Blinden beobachtet, und er hielt die Linse mit
dem Perlmuttergriff nur der Gewohnheit halber in der Hand, nicht etwa, um zu
sehen. Wir schwiegen ein Weilchen. Dann bat Meister Osman den Zwerg, der all
den Schilderungen wie einem traurigen Märchen gelauscht hatte, noch einmal ein
bestimmtes Buch zu suchen und herbeizubringen, dessen Einband er sehr genau
beschrieb. Als der Zwerg fort war, fragte ich meinen Meister naiv: »Und wer hat
nun das Pferdebild für das Buch meines Oheims gemalt?«
»Die Nüstern beider Pferde sind
geschlitzt«, erklärte er. »Ob es in Samarkand oder in Transoxanien war, dieses
Pferd ist nach chinesischer Art gemalt worden. Das schöne Pferd im Buch des
Oheims aber wurde wie die herrlichen Pferde der Meister von Herat nach
persischer Art abgebildet. Einem so zierlichen Tier wie diesem begegnet man
selten in dieser Welt. Es ist ein Pferd der Malkunst, kein Mongolenpferd.«
»Aber seine Nüstern sind geschlitzt
wie bei einem echten Mongolenpferd«, flüsterte ich.
»Weil sich offenbar ein alter
Buchmalermeister, als sich die Mongolen vor zweihundert Jahren zurückzogen und
die Herrschaft der Timuriden begann, beim Zeichnen eines Pferdes an die früher
erblickten Mongolenpferde erinnerte, oder auf dem Bild eines anderen
Illustrators die geschlitzten Nüstern gesehen und unter diesem Eindruck ein
wunderschönes Pferd mit zart geschlitzten Nüstern abbildete. Niemand weiß, für
welchen Schah in welchem Buch und auf welcher Seite es war. Doch ich bin
sicher, daß jenes Buch und das Bild in einem Palast, wer weiß, vielleicht von
der Favoritin im Harem des Schahs, sehr bewundert und gepriesen und zur
Legende seiner Zeit wurde! Desgleichen bin ich sicher, daß aus diesem Grund
alle gewöhnlichen Illustratoren jenes Pferd mit den geschlitzten Nüstern
eifersüchtig vor sich hin murrend kopierten und vervielfachten. Auf diese Weise
wurden zusammen mit dem herrlichen Pferd die geschlitzten Nüstern zum Vorbild
und prägten sich dem Gedächtnis der Illustratoren jener Buchmalerwerkstatt ein.
Als Jahre später die Herren dieser Buchmaler besiegt wurden und sie selbst, wie
die kummervollen Frauen, die in einen anderen Harem kamen, andere Schahs und
Prinzen fanden und Städte und Länder wechselten, trugen sie in ihrem Gedächtnis
auch die zierlich geschlitzten Pferdenüstern mit sich fort. Vielleicht wurde
diese Art der Nüstern, die irgendwo im Gedächtnis der meisten Illustratoren
bewahrt blieb, durch den Einfluß anderer Buchmalerwerkstätten, Methoden und
Meister nicht mehr gezeichnet und schließlich vergessen. Einige Malkünstler
aber stellten nicht nur nach wie vor in den neuen Werkstätten Pferde mit fein
geschlitzten Nüstern dar, sie sagten: ›So taten es die alten Meister‹ und
brachten es so auch ihren hübschen Lehrlingen bei. Selbst Jahrhunderte nach dem
Abzug der Mongolen und ihrer kräftigen Pferde aus dem Land der Perser und der
Araber, als in den ausgebrannten, geplünderten Städten wieder neues Leben
begonnen hatte, fuhren einige Illustratoren fort, die Pferdenüstern auf diese
Art zu zeichnen, weil sie annahmen, es handele sich um eine feste Vorlage.
Ebenso bin ich sicher, daß andere wieder, ohne etwas von den mongolischen
Eroberern oder den geschlitzten Nüstern ihrer Pferde zu wissen, ihre eigenen Pferde
ganz so wie unsere Illustratoren zeichnen und ebenfalls behaupten, dies sei
›eine feste Form‹.«
»Mein Herr und Meister«, sagte ich
voller Bewunderung. »Eure Hofdamen-Methode hat uns tatsächlich wie erhofft zu
einem Ergebnis geführt. Jeder Buchmaler hat auch eine geheime Signatur.«
»Nicht jeder Buchmaler, aber fast
jede Buchmalerwerkstatt«, entgegnete er stolz. »In manch einer glücklosen Werkstatt
redete man jahrelang wild durcheinander, wie in so mancher glücklosen Familie,
und keiner verstand, daß Glück aus Harmonie entsteht, daß Harmonie auch Glück
bedeutet. Einer versucht, wie die Chinesen, einer wie die Turkmenen, einer wie
die Leute von Schiras, einer wie die Mongolen zu malen, und wie unglückliche
Eheleute, die jahrelang miteinander
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