Pamuk, Orhan
selbst – mag es der Prediger aus Erzurum sein, der verachtet wird,
oder der Satan höchstpersönlich. Übrigens wäre dieses Kaffeehaus heute nacht
vielleicht verschont geblieben, wenn man dort nicht über die Erzurumer
hergezogen hätte.«
»Trotzdem bist du hingegangen«,
sagte der elende Kerl.
»Natürlich bin ich hingegangen, ich
hatte ja auch Spaß daran.« Begriff er eigentlich, wie aufrichtig ich war? »Wir
Adamssöhne können uns an einer Sache sehr wohl delektieren, obwohl uns das Gewissen
und die Vernunft sagen, wie abscheulich und falsch sie ist«, fügte ich noch
hinzu. »Aber dennoch schämte ich mich, weil ich an jenen billigen Bildern, den
Nachäffereien und den Geschichten vom Satan, von der Goldmünze und dem Hund,
die ohne Reim und Rhythmus erzählt wurden, meinen Spaß hatte.«
»Trotzdem, warum hast du diese
Brutstätte des Unglaubens aufgesucht?«
»Nun gut«, meinte ich und folgte
meiner inneren Stimme, »der Wurm des Zweifels nagt manchmal auch an mir: Seit
ich nicht nur von Meister Osman, sondern auch von unserem Padischah ganz offen
als der begabteste und tüchtigste unter den Altmeistern der Buchmalerwerkstatt
anerkannt wurde, habe ich begonnen, mich vor dem Neid der anderen Illustratoren
so sehr zu fürchten, daß ich mich bemühte, wenigstens hin und wieder dieselben
Orte wie sie aufzusuchen, mit ihnen gut Freund zu sein und mich möglichst so
wie sie zu verhalten, damit sie keine Rachegelüste bekommen. Verstehst du? Und
seit man begonnen hat, mir nachzusagen, ich sei einer von den ›Erzurumern‹,
gehe ich in das Kaffeehaus dieser elenden Glaubensverächter, damit niemand an
das Gerede glaubt.«
»Meister Osman meinte, daß du dich
oft so verhältst, als wolltest du dich für dein Talent und Geschick
entschuldigen.«
»Was hat er noch über mich gesagt?«
»Daß du winzige, unsinnige Bilder
auf Reiskörner und Fingernägel gemalt hast, um andere von deiner Absage an das
Leben zugunsten der Kunst zu überzeugen. Er sagte, du seiest ständig bemüht,
anderen zu gefallen, weil du dich für das dir von Allah verliehene Talent
schämtest.«
»Meister Osman steht im Range
Behzats«, erklärte ich aufrichtig überzeugt. »Und weiter?«
»Er sprach auch offen über deine
Fehler«, sagte der elende Kerl.
»Zähle meine Fehler auf.«
»Du würdest trotz deines Talents nicht
aus Liebe zur Malerei illustrieren, sondern um dich beliebt zu machen. Was dich
während des Malens am meisten erfreue, sei deine Vorstellung von der Lust, die
jemand in Zukunft beim Anblick deines Bildes empfinden würde. Du solltest
dagegen so malen können, daß du es allein wegen der Lust am Malen tust.«
Es verletzte mich tief, daß Meister
Osman einem charakterschwachen Mann gegenüber, dessen Leben nicht der
Malkunst, sondern dem Protokollieren, Briefeschreiben und Katzbuckeln gewidmet
war, so unbekümmert seine Gedanken über mich geäußert hatte. Und Kara redete
weiter: »Er sagte, die großen alten Meister hätten niemals auf den Stil und die
Methoden, die sie erworben hatten und für die sie ihr Leben gaben, verzichtet,
um sich der Macht eines neuen Schahs, den Launen eines neuen Prinzen oder dem
Geschmack einer anderen Zeit zu beugen, sie hätten sich aus diesem Grund auf
heldenhafte Weise selbst geblendet, damit sie nicht gezwungen waren, ihren
Stil und ihre Methoden zu ändern. Ihr hingegen hättet unter dem Vorwand, unser
Padischah wolle es so, für die Seiten des Buches meines Oheims die fränkischen
Meister eifrig und schamlos imitiert.«
»Der große Altmeister und Erste
Illustrator Osman hat damit wohl nichts Böses gemeint«, erklärte ich. »Jetzt
werde ich für unseren Gast einen Lindenblütentee aufsetzen.«
Ich ging ins Nebenzimmer. Meine
Geliebte warf mir ihr Nachthemd aus grüner Chinaseide über, das sie von der
Hausiererin Ester gekauft hatte, ahmte mich spöttisch nach: »Jetzt werde ich
für un seren Gast einen Lindenblütentee kochen!« und griff nach meinem Rohr.
Vom Grunde des Kastens, gleich dort,
wo unser Bett ausgelegt war, holte ich zwischen den rosenduftenden Laken mein
Schwert mit dem Achatgriff hervor und zog es aus der Scheide. Seine Klinge war
so scharf geschliffen, daß es ein Seidentuch in der Luft zerschneiden konnte,
und wenn man Blattgold darauflegte, würden die Teile so gerade zerschnitten,
als seien sie mit dem Lineal gezogen.
Ich verbarg mein Schwert und kehrte
in die Werkstube zurück. Kara Efendi war so zufrieden mit meiner Befragung, daß
er immer noch
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