Pamuk, Orhan
der Hand umgeben.
Nachdem ich mit angesehen hatte, wie man die Kaffeehausbesucher gnadenlos
verprügelte, während sie herauskamen, und das Kaffeehaus brutal zertrümmert
wurde, wäre ich am liebsten davongelaufen. Dann kam ein anderer Trupp heran,
wahrscheinlich die Janitscharen. Die Leute des Erzurumers löschten ihre
Fackeln und machten sich davon.
Niemand war an der dunklen Tür des Kaffeehauses
zu sehen, es schaute auch niemand hin. Ich ging hinein. Alles war voller
Scherben von Tassen, Tellern, Gläsern, und ich trat beim Gehen überall auf Ton- und
Glassplitter. Eine Öllampe, an einem Nagel hoch an der Wand aufgehängt,
hatte während des ganzen Tumults weitergebrannt, doch sie erhellte nur die
Rußflecken an der Decke, nicht aber den mit Scherben übersäten Boden, die
zerstückelten Beistelltische oder die zersplitterten Bretter der hölzernen Sitzbänke.
Ich legte die Sitzkissen aufeinander,
langte hoch und nahm die Lampe ab. In ihrem Schein bemerkte ich dann die am
Boden liegenden Körper. Als ich das blutüberströmte Gesicht des einen sah,
wandte ich mich ab und ging zum nächsten weiter. Der zweite Körper stöhnte, und
ein kindlicher Laut drang aus seinem Mund, als er meine Lampe erblickte, doch
ich zog mich zurück.
Jemand anders war hereingekommen.
Das beunruhigte mich zuerst, doch dann spürte ich, daß es Kara war. Wir
beugten uns gemeinsam über den dritten Körper am Boden. Als die Lampe das Gesicht
erhellte, wurde bestätigt, was wir schon längst geahnt hatten: Der meddah war
umgebracht worden.
Auf seinem nach Frauenart
geschminkten Gesicht war kein Blut zu sehen, doch sein Kinn, sein Auge und der
rotbemalte Mund waren zerschmettert, die mit blauen Flecken bedeckte Kehle
eingedrückt. Seine Hände lagen auf beiden Seiten nach hinten zurückgezogen.
Es war nicht schwer, daraus zu schließen, daß einer die Hände des Alten in
Frauenkleidern rückwärts festgehalten hatte, während die anderen ihm das
Gesicht zerschlugen und ihn am Ende erdrosselten. Ob sie wohl gesagt hatten:
»Wer dem hochwürdigen Prediger Hodscha Efendi die Zunge herausstreckt, dem
schneidet die seine heraus!«, bevor sie ans Werk gingen?
»Bring deine Lampe hierher«, sagte
Kara. Der Lichtschein fiel auf zerbrochene Kaffeemühlen, Siebe, Waagen und
Bruchstücke von Kaffeetassen, die in einer schlammigen Pfütze vergossenen
Kaffees in der Nähe des Herdes lagen. In der Ecke, die der meddah allabendlich
zum Aufhängen seiner Bilder benutzt hatte, suchte Kara im Licht der Lampe nach
den Utensilien des Toten, seiner Schärpe, seinem Überschlagtuch, seiner
Klatsche. Er sei vor allem auf die Bilder aus, sagte er und hielt mir die
Lampe, die er mir aus der Hand nahm, vor das Gesicht: Natürlich, zwei davon
waren von mir aus Freundschaft gezeichnet worden. Wir konnten aber nur das
persische Käppchen finden, das der Verblichene aus seinem ratzekahl geschorenen
Kopf getragen hatte.
Ein enger Durchgang führte uns zur
Hintertür, und wir traten in die dunkle Nacht hinaus, ohne jemand anderes
anzutreffen. Die Menge der Gäste und die Illustratoren mußten während des Überfalls
auf diesem Wege geflüchtet sein, doch umgestürzte Blumentöpfe und ausgestreute
Kaffeesäcke zeigten deutlich, daß es auch hier zu einer Schlägerei gekommen
war.
Der Überfall auf das Kaffeehaus, der
grausame Mord an dem Meistererzähler und die furchterregende nächtliche
Finsternis brachte uns, Kara und mich, einander näher. Und ich glaubte, dies
sei auch der Grund für das Schweigen zwischen uns. Zwei Straßen weiter drückte
mir Kara die Lampe in die Hand, zog seinen Dolch und setzte ihn mir an die
Kehle.
»Wir gehen jetzt zu deinem Haus«,
erklärte er. »Ich will es durchsuchen, damit ich beruhigt bin.«
»Man hat es doch schon durchsucht!«
protestierte ich, schwieg dann aber.
Ich fühlte nur Verachtung, keinen
Zorn. Zeigte es nicht, daß Kara, da er dem schändlichen Gerede über mich
Glauben schenkte, auch nur einer der ganz gewöhnlichen Neider war? Er hielt den
Dolch mit wenig Selbstvertrauen in der Hand.
Mein Haus liegt in der
entgegengesetzten Richtung zu der Straße, auf die wir durch die Hintertür
hinausgekommen waren. Um der Menge aus dem Weg zu gehen, schlugen wir einen
großen Bogen, schlängelten uns rechts und links durch Hintergassen und
durchquerten leere Gärten, deren einsame, nasse Bäume einen kummervollen Geruch
verbreiteten. Nachdem wir etwa die Hälfte des Weges hinter uns hatten, sagte
Kara: »Zwei Tage lang
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