Pamuk, Orhan
mit dem Dolch in der Hand um das rote Sitzkissen herumging. Ich
legte eine halbfertige Seite darauf. »Schau sie dir an«, sagte ich. Er kniete
sich neugierig hin und versuchte, sie zu verstehen.
Ich trat hinter ihn, zog mein
Schwert, stürzte mich auf ihn und warf ihn nieder. Der Dolch fiel ihm aus der
Hand. Während ich sein Haar packte und seinen Kopf auf den Boden drückte, hielt
ich ihm die Klinge an die Kehle. Mein schwerer Leib lastete auf dem zartgebauten
Körper Karas, der mit dem Gesicht nach unten lag, und ich preßte mit meinem
Kinn und einer Hand seinen Kopf so weit hinunter, daß er die scharfe Klinge zu
spüren bekam. Eine meiner Hände war voll schmutziger Haare, mit der anderen
drückte ich das Schwert an die zarte Haut seiner Kehle. Er war klug genug, sich
nicht zu rühren, denn ich konnte sofort sein Blut fließen lassen. Daß ich
seinem krausen Haar, seinen häßlichen Ohren und seinem einladenden Nacken, dem
ich gern zu jeder anderen Zeit einen hochmütigen, schallenden Schlag versetzt
hätte, so nahe war, hatte mich noch mehr gereizt. »Ich kann mich nur mit Mühe
davon zurückhalten, dich hier auf der Stelle umzubringen«, flüsterte ich wie
ein Geheimnis in sein Ohr.
Es gefiel mir, daß er ohne einen
Laut wie ein artiges Kind zuhörte: »Du kennst das legendäre Buch der
Könige«, flüsterte ich. »Schah Feridun macht einen Fehler und überläßt, als
er seine Länder aufteilt, die schlechtesten seinen beiden älteren Söhnen, Iran
aber, das beste Land, seinem jüngsten Sohn Ireç. Der eifersüchtige Tur täuscht
seinen jüngsten Bruder Irec und hält ihn, bevor er ihm die Kehle
durchschneidet, an den Haaren fest und drückt ihn mit seinem ganzen Körper
nieder, so wie ich's jetzt tue. Spürst du das Gewicht meines Leibes?«
Er gab keine Antwort, doch an seinem
Blick, der dem eines Opferlamms glich, konnte ich erkennen, daß er mir
zuhörte, und ich hatte eine Eingebung: »Ich bin nicht nur im Malen dem Stil und
der Methode der Perser treu, sondern auch beim Ansetzen des Schwertes an die
Gurgel und beim sauberen Abschlagen des Kopfes. Eine andere Fassung dieser sehr
beliebten Szene habe ich auf den Illustrationen vom Tod des Schah Siyavuş gesehen.«
Ich schilderte Kara, der mir
schweigend zuhörte, sehr ausführlich, wie Siyavuş sich auf die Rache für seine Brüder
vorbereitete, wie er seinen Palast und all sein Hab und Gut verbrannte, wie er
und seine Gemahlin Abschied nahmen und einander alles vergaben, wie er sein
Pferd bestieg, mit seinem Heer in dem Kampf zog und verlor, wie er an den
Haaren durch Staub und Dreck über das leichenbedeckte Blachfeld geschleift
wurde, so wie Kara jetzt mit dem Gesicht auf den Boden gedrückt wurde, wo
schließlich ein Dolch seinen Hals berührte, und wie unter Freunden und Feinden
ein Disput entstand, ob man den legendären Schah begnadigen oder töten solle,
und wie der besiegte Schah mit dem Gesicht im Staub alles mit anhören mußte,
und dann fragte ich mein Opfer: »Magst du dieses Bild? Geroy nähert sich Siyavuş von hinten – so wie ich –,
wirft sich über ihn, setzt ihm das Schwert an die Kehle, greift so in die Haare
und schneidet die Kehle durch. Bald wird das rote Blut fließen, wird zuerst
einen schwarzen Dunst aus der karstigen Erde holen und dann dort eine Blume
erblühen lassen.«
Ich schwieg ein Weilchen, und wir
horchten auf die Schreie der Erzurumer, die in den Straßen herumliefen. Das
Verhängnis und das Entsetzen da draußen ließ uns, die wir beiden am Boden übereinanderlagen,
sogleich einander näherkommen.
»Aber auf all diesen Bildern«,
sprach ich weiter und zog fester an den Haaren Karas in meiner Faust, »kann man
die Schwierigkeit spüren, zwei Personen, deren Körper wie die unseren
miteinander verschmolzen sind und die sich gleichzeitig hassen, auf erlesene
Art zu zeichnen. Es ist, als ob der ganze Wirrwarr von Verrat, Neid und Krieg
vor diesem magischen, herrlichen Augenblick der Enthauptung ein bißchen zu
stark in jene Bilder eingedrungen ist. Beim Zeichnen von zwei
übereinanderliegenden Männern tun sich sogar die großen Altmeister von Kazvin
schwer, und alles gerät durcheinander. Wir beide dagegen sind, wie du sehen
kannst, viel ordentlicher und feiner.«
»Das Schwert schneidet«, stöhnte er.
»Ich danke dir dafür, daß du geredet
hast, aber es schneidet nicht, mein Lieber. Ich achte darauf, nichts zu tun,
was die Schönheit unserer Lage stören könnte. Wenn die großen alten Meister in
all ihren
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