Pamuk, Orhan
Liebes-, Sterbe- und Kriegsszenen die miteinander verschmelzenden
Körper gleichsam wie einen einzigen Leib zeichneten, dann konnten sie uns nur
ein paar Tränen entlocken. Schau: Mein Kopf ist so nah an deinem Nacken, daß er
wie ein Teil deines Körpers erscheint. Ich kann deine Haare und deinen Nacken
riechen. Meine Beine sind zu beiden Seiten deiner Beine so harmonisch ausgestreckt,
daß einer, der uns sieht, meinen könnte, wir seien ein elegantes vierbeiniges
Tier. Spürst du das Gleichgewicht meiner Schwere auf deinem Rücken und deinem
Hinterteil?« Stille herrschte, doch ich übte keinen Druck auf das Schwert aus,
denn es hätte blutig verletzen können. »Wenn du nicht sprichst, beiße ich dich
ins Ohr«, flüsterte ich ihm in ebendieses Ohr.
Als ich ihm von den Augen ablas, daß
er bereit war zu reden, stellte ich dieselbe Frage noch einmal: »Spürst du das
Gleichgewicht meiner Schwere auf dir?«
»Ja.«
»Magst du es?« fragte ich, und:
»Sind wir schön? Sind wir so schön wie die Helden, die einander in den
Wunderwerken der alten Meister auf elegante Art umbringen?«
»Ich weiß es nicht«, sagte Kara,
»ich kann uns nicht im Spiegel sehen.«
Als ich mir vorstellte, wie uns
meine Frau jetzt vom Nebenzimmer aus im Licht der Kaffeehauslampe sehen würde,
fürchtete ich, vor Aufregung Kara tatsächlich ins Ohr zu beißen.
»Karg Efendi, der du mit dem Dolch
in mein Haus und seine Geborgenheit eingedrungen bist und mich zur Rede
gestellt hast: Spürst du jetzt meine Stärke auf dir?« fragte ich.
»Ich spüre auch, daß du im Recht
bist.«
»Jetzt frage nur, was du fragen
willst.«
»Erzähle mir, wie dich Meister Osman
streichelte.«
»In meiner Lehrzeit, als ich viel
schlanker, feiner und hübscher war als heute, legte er sich auf die gleiche
Weise über mich, wie ich jetzt auf dir liege. Er streichelte meine Arme, tat
mir manchmal auch weh, doch weil ich sein Wissen, sein Können und seine Stärke
bewunderte, mochte ich es und dachte mir nichts Schlechtes dabei, denn ich
liebte ihn. Altmeister Osman zu lieben gab mir die Möglichkeit, das
Illustrieren, die Farben, das Papier, den Rohrstift, die Schönheit des Bildes,
alles, was gemalt wurde, und somit das Universum und Allah zu lieben. Meister
Osman ist mehr als ein Vater für mich.«
»Hat er dich oft geschlagen?« wollte
er wissen.
»Er schlug mich, wie ein Vater um
der Gerechtigkeit willen schlagen muß, und er schlug mich schmerzhaft und
strafend, wie ein Meister schlagen muß, um etwas zu lehren. Ich bin mir heute
bewußt, daß ich wegen der Schmerzen und der Furcht vor den Schlägen des
Lineals auf meine Nägel viele Dinge besser und schneller gelernt habe. Damit er
mich in meiner Lehrzeit nicht beim Haarschopf packte und meinen Kopf wieder
und wieder an die Wand schlug, vergoß ich keine Farben, verschwendete kein
Goldwasser, prägte mir die Kurve an der Fessel des Pferdes richtig ein,
vertuschte den Fehler des Rahmenziehers, reinigte meine Pinsel regelmäßig und
lernte, meine Aufmerksamkeit und meinen Geist ganz und gar auf das Blatt vor
mir zu richten. Da ich meine Fähigkeit und Meisterschaft den Schlägen
verdanke, die ich bekam, schlage auch ich jetzt ohne Bedenken meine Lehrlinge.
Und ich weiß sogar, daß selbst ungerecht erteilte Schläge, wenn sie nicht den
Stolz des Lehrlings brechen, am Ende dem Jungen nützen werden.«
»Dennoch ist dir bewußt, wenn du
einen engelsgleichen Lehrling mit hübschem Gesicht und sanften Blicken schlägst
und dabei zum eigenen Vergnügen hin und wieder das Maß überschreitest, daß der
große Meister Osman mit dir das gleiche gemacht hat, nicht wahr?«
»Er schlug mich manchmal mit dem
marmornen Glätter so stark hinters Ohr, daß es tagelang sauste und mir
schwindelig wurde. Manchmal gab er mir eine solche Ohrfeige, daß meine Wange wochenlang
brannte und mir ständig die Tränen herunterliefen. Ich erinnere mich dessen,
liebe aber trotzdem meinen Meister.«
»Nein«, warf Kara ein. »Du warst
wütend auf ihn. Und als Rache für den tief innen aufgestauten Zorn habt ihr das
Buch meines Oheims in Nachahmung der Franken illustriert.«
»Du kennst die Illustratoren nicht.
Das Gegenteil ist richtig. Die Schläge, die er von ihm als Kind erhält, binden
den Illustrator bis zum Ende des Lebens in tiefer Liebe an den Meister.«
»Der Bruderneid ist der Grund dafür,
daß man – wie du es jetzt bei mir tust – Ireç
und Siyavuş das Schwert
von hinten her an die Kehle setzte und dann grausam
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