Pamuk, Orhan
Illustrator weniger Geld
gegeben und ihn zur Eile angetrieben, sondern ihn auch gezwungen hätte, ein
gröberes und vielleicht gerade aus diesem Grund mehr dem wirklichen Leben
entsprechendes Pferd zu zeichnen.
»Storch weiß am besten, wer dieses
Pferd gezeichnet hat«, erklärte ich. »Dieser dumme, selbstgefällige Kerl geht
jeden Abend in das Kaffeehaus, weil er nicht leben kann, ohne das Buchmalergeschwätz
gehört zu haben. Ich bin sicher, daß er dieses Pferd gezeichnet hat.«
56
Man nennt mich Storch
Schmetterling und Kara kamen mitten in der Nacht,
legten jedes der Bilder auf den Boden und wollten von mir wissen, wer welches
gezeichnet habe. In unseren Kindertagen spielten wir etwas Ähnliches – »Wem
gehört der Turban?«: Man zeichnete die Kopfbedeckungen des Hodschas, des
Spahis, der Frau, des Henkers, des Schatzmeisters und des Sekretärs auf ein
Papier und versuchte dann, sie mit den Namen zu verbinden, die auf einem
anderen Papier mit der Schriftseite nach unten lagen.
Den Hund habe ich gezeichnet, sagte
ich. Die Geschichte dazu hätten wir dem auf so elende Weise ermordeten meddah gemeinsam erzählt. Der hier im Lampenlicht schwankende Tod, erklärte ich,
sei das Werk des lieben Schmetterling, der jetzt den Dolch an meine Kehle
hielt. Ich erinnerte mich daran, daß Olive mit großem Eifer den Satan
gezeichnet hatte, die Geschichte dazu mochte von dem Verblichenen selbst
erfunden worden sein. Den Baum hatte ich begonnen, seine Blätter fügten alle
Illustratoren hinzu, die ins Kaffeehaus kamen. Auch seine Geschichte stammte
von uns. Ebenso war es mit Rot. Rote Farbe war auf ein Blatt Papier getropft,
und der geizige meddah fragte, ob man daraus nicht ein Bild machen
könne. So ließen wir noch mehr Rot auf das Blatt tropfen, und danach malten
nicht nur alle Illustratoren irgend etwas Rotes in eine der Ecken, sondern
erfanden auch eine Geschichte dazu, damit sie der meddah für uns
erzählte. Dieses schöne Pferd hat – gut gemacht! – Olive gezeichnet, und von
Schmetterling stammt die kummervolle Frau, soweit ich mich erinnere. In diesem
Augenblick zog Schmetterling den Dolch von meiner Kehle zurück und erklärte
Kara, ja, er erinnere sich jetzt, die schöne Frau sei von seiner Hand. Zu der
Münze auf dem Markt hatten wir alle beigetragen, die beiden Gottesnarren hatte
natürlich Olive gezeichnet, der seiner Abkunft nach selbst ein
Kalenderi-Derwisch war. Die Grundlagen ihrer Sekte sind Bettelei und Unzucht
mit schönen Knaben, und ihr Scheich Evhad üd-Dini von Kerman hatte vor
zweihundertfünfzig Jahren ein Buch darüber geschrieben und in Verse gefaßt, daß
sich ihm die Vollkommenheit Allahs in schönen Gesichtern offenbart habe.
Verzeiht mir, meine Brüder
Buchmalermeister, das Durcheinander in diesem Haus, wir waren nicht
vorbereitet, konnten euch weder ambraduftenden Kaffee noch süße Pampelmusen
anbieten, denn die Frau schläft im Zimmer nebenan, sagte ich zu ihnen, damit
sie nicht in ihrem Eifer dort eindrangen und ich zum Blutvergießen gezwungen
wurde, falls sie in den Körben und den Truhen, die sie bis auf den Grund
absuchten, zwischen den feinen Wollstoffen, dem Sackleinen, den Schärpen aus
indischer Seide und Musselin für den Sommer, den persischen Druckkattunen und
Dolmanen, unter den Teppichen und Sitzkissen und zwischen den von für
verschiedene Bücher bemalten Blättern und den Seiten der gebundenen Bücher
nicht fanden, was sie suchten.
Dennoch muß ich gestehen, daß es mir
ein gewisses Vergnügen bereitete, mich so zu verhalten, als fürchtete ich mich
vor ihnen: Das Können des Illustrators beruht auf seiner Fähigkeit, sowohl die
Schönheit des Augenblicks ganz zu erfassen und jede Einzelheit ernst zu nehmen,
als auch von dieser Welt, die sich viel zu ernst nimmt, einen Schritt zurückzuweichen
und sie wie im Spiegelbild mit dem rechten Abstand und der Fähigkeit zum
Scherzen zu betrachten.
So antwortete ich auf ihre Fragen,
ja, während des Überfalls der Erzurumer seien in dem Kaffeehaus wie an den
meisten Abenden ungefähr vierzig Leute versammelt gewesen, dazu gehörten mit
mir zusammen Olive, der Rahmenzieher Nasir, der Kalligraph Cemal, zwei junge
Buchmalergesellen, zwei junge Kalligraphen, die augenblicklich Tag und Nacht
mit ihnen verbrachten, und der wunderhübsche Lehrling Rahmi, noch einige
hübsche Schüler, sechs oder sieben von der Gruppe der Poeten, Trinker,
Opiumsüchtigen und andere, die den Kaffeehausbesitzer überredet hatten, an
dieser
Weitere Kostenlose Bücher