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Pamuk, Orhan

Pamuk, Orhan

Titel: Pamuk, Orhan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rot ist mein Name
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fest, daß drinnen auch niemand schlief.
Kara sprach aus, was wir beide dachten: Sollten wir hineingehen?
    Mit der stumpfen Kante von Karas
Dolch lockerte ich das Eisen des Türschlosses, dann hob ich den Dolch in den
Zwischenraum, und mit unserem ganzen Gewicht stemmten wir beide das Schloß auf.
Aus dem Innern kam der Geruch von jahrelang aufgestauter Feuchtigkeit, Schmutz
und Einsamkeit. Wir sahen ein ungemachtes Bett im Lampenlicht, gedankenlos über
die Kissen geworfene Schärpen, Westen, zwei Turbane, Hemden, das persisch-türkische
Wörterbuch des Nimetullah Efendi vom Orden der Nakşibendi, einen Turbanständer, feinen
Wollstoff und Faden und Nadel zum Nähen, ein Kupferpfännchen voll Apfelschalen,
viele Kissen, eine Bettdecke aus Samt, Farben, Pinsel und das ganze Malzeug eines
Illustrators. Ich wollte gerade die Schreibpapiere, die vielen Schichten des
sorgfältig zugeschnittenen indischen Papiers und die bemalten Blätter auf dem
Arbeitspult durchsehen, doch da hielt ich inne.
    Und das nicht nur, weil Kara viel
eifriger war als ich, sondern auch, weil ich wußte, es würde mir kein Glück
bringen, wenn ich als Altmeister die Besitztümer eines weniger begabten
Buchmalers durchwühlte. Olive ist nicht so talentiert, wie er meint, er ist nur
strebsamer. Was ihm an Begabung fehlt, versucht er durch seine Verehrung der
großen Meister zu vertuschen. Die alten Legenden entflammen jedoch nur die
Phantasie des Illustrators, und es ist die Hand, die malt.
    Während Kara die Wäschekörbe bis auf
den Boden und den Inhalt aller Truhen und Schachteln genau durchsuchte, ließ
ich nur meinen Blick über Olives Handtücher aus Bursa, seinen Mahagonikamm,
sein schmutziges Einschlagtuch fürs Hamam, seine Rosenwasserflaschen, ein
lächerliches Lendentuch aus indischem Druckkattun, seine Steppjacken, seinen
geschlitzten, schweren und schmuddeligen Übermantel, ein schiefes, krummes
Kupfertablett, über die im Verhältnis zu seinem Verdienst billigen und
ungepflegten Möbel und seine schmutzigen Teppiche gleiten, ohne etwas anzurühren.
Entweder war Olive sehr geizig und versteckte sein Geld, oder er verschwendete
es auf irgendeine Art und Weise.
    »Das ist genau das Haus eines
Mörders«, entfuhr es mir dann. »Er hat nicht einmal einen Gebetsteppich!« Doch
nicht das beschäftigte mich. Ich dachte nach und sagte: »Es sind die Sachen
eines Menschen, der nicht imstande ist, glücklich zu sein.« Dennoch spürte ich
traurig mit einem Teil meines Verstandes, wie sehr das Unglücklichsein und die
Nähe zum Satan der Malkunst dienlich waren.
    »Der Mensch kann unglücklich sein,
auch wenn er weiß, wie er glücklich werden könnte«, sagte Kara.
    Er legte eine Reihe von Bildern vor
mich hin, die aus der Tiefe einer Truhe kamen, auf grobem Samarkand-Papier
ausgeführt und rückwärtig mit dicken Blättern verstärkt waren. Wir sahen einen
freundlichen Teufel, aus Chorasan, scheinbar aus der Unterwelt bis
hierhergekommen, einen Baum, eine schöne Frau, einen Hund und den von mir
gezeichneten Tod. Es waren die Bilder, die der ermordete meddah jeden
Abend aufgehängt und zu denen er eine seiner schamlosen Geschichten erzählt
hatte. Auf Karas Frage hin zeigte ich auf das von mir gezeichnete Bild des
Todes.
    »Das gleiche Bild gibt es im Buch
meines Oheims«, sagte er.
    »Der meddah wie auch der
Kaffeehausbesitzer haben beide begriffen, daß es klüger war, das Bild, das
jeden Abend aufgehängt wurde, von den Illustratoren ausführen zu lassen. Einer
von uns Buchmalern mußte rasch ein Bild auf grobes Papier zeichnen, dann fragte
er uns ein wenig nach der Geschichte und den Scherzen der Illustratoren, fügte
selbst noch einiges hinzu und fing sofort an zu erzählen.«
    »Warum hast du dieses für das Buch
meines Oheims gemalte Bild auch für ihn gezeichnet?«
    »Es war ein Bild für sich, wie es
der meddah wünschte. Doch ich habe es nicht so sorgfältig wie für das
Buch deines Oheims, sondern nur ganz rasch aus dem Handgelenk hingeworfen. Auch
die anderen haben auf diese Weise – vielleicht zum Hohn – gröber und einfacher
für den meddah das gezeichnet, was sie für das geheime Buch gemalt
hatten.«
    »Wer hat das Pferd gemalt?« fragte
er. »Das mit den geschlitzten Nüstern?«
    Wir hielten die Lampe näher an die
Zeichnung und bewunderten das Pferd. Es hatte Ähnlichkeit mit jenem für das
Buch des Oheims, war aber schneller, mit weniger Sorgfalt und weniger Geschmack
gezeichnet worden. Als ob nicht nur irgend jemand dem

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