Pamuk, Orhan
anderen Buchmalern Anlaß
zu eifersüchtigen Sticheleien gewesen, aber es kümmerte sie nicht, sie schauten
sich vor allen anderen lange und tief in die Augen und hätschelten sich, und am
Ende verkündete Meister Osman rücksichtslos, der Wendigste mit dem Rohrstift
und der Sicherste mit dem Farbenpinsel sei Schmetterling. Dieses meist
zutreffende Urteil führte unter den neidischen Illustratoren zu unanständigen
Vergleichen mit Stiften, Pinseln, Tintenfäßchen und Rohrstiftbehältern, zu
teuflischen Anspielungen und zu endlosen Wortspielereien, die für deutliche
Metaphern benutzt wurden. Aus diesem Grund bin ich heute nicht der einzige, der
ahnt, daß Schmetterling nach Altmeister Osman das Haupt der Buchmalerwerkstatt
werden möchte. Ich habe seit langem verstanden, daß der große Meister dies im
Sinn hat, wenn er anderen gegenüber von meiner Streitsucht, meiner
Unverträglichkeit und Dickköpfigkeit spricht. Und er dachte zu Recht, daß ich
viel mehr als Olive und Schmetterling den fränkischen Methoden zuneige und
nicht unter dem Vorwand: ›So hätten die alten Meister niemals gemalt!‹
die neuen Wünsche unseres Padischahs ignorieren würde.
Ich wußte, daß ich mich in dieser
Hinsicht eng mit Kara zusammentun könnte, denn unser frischgebackener,
eifriger Bräutigam mußte den Wunsch hegen, das Buch seines seligen Oheims
fertigzustellen, nicht nur, um das Herz der schönen Şeküre zu erobern und
zu zeigen, daß er den Platz ihres Vaters einnehmen konnte, sondern auch, um
sich auf kürzestem Weg bei unserem Sultan beliebt zu machen.
So konnte ich die Sache von einer
Seite her anpacken, die sie nicht erwartet hatten, und eröffnete das Thema,
indem ich sagte, das Buch des Oheims sei ein Wunder ohnegleichen. Sei das Werk
erst einmal den Befehlen unseres Padischahs und den Wünschen des seligen
Oheims gemäß fertiggestellt, dann würde die ganze Welt die Stärke und den
Reichtum des osmanischen Sultans und unser, der Illustratoren, Talent,
Erlesenheit und Geschick aufs höchste bestaunen. Sie würden sich nicht nur
fürchten vor uns, vor unserer Kraft und gnadenlosen Härte, sondern auch sehen,
wie wir lachen und weinen, wie wir einiges von den Methoden der fränkischen
Meister übernommen haben, wie fröhlich unsere Farben sind und wie wir bis in
die kleinste Einzelheit gehen, und sie würden, was auch die klügsten Herrscher
nur selten erfassen können, voll Ehrfurcht spüren, daß wir uns sowohl irgendwo
in der Welt des von uns gemalten Bildes als auch weit fort, irgendwo unter den
alten Meistern, befinden.
Zuerst schlug Schmetterling auf
meine Rüstung wie ein Kind, das herausfinden wollte, ob sie echt war, dann wie
ein Freund, der ihre Festigkeit prüfen wollte, und schließlich, beides als
Vorwand benutzend, wie ein verstockter Neider, der sie durchbohren und mich
verletzen wollte. Eigentlich wußte er nur allzugut, daß meine Begabung größer
war als die seine, und um so quälender mußte für ihn die Ahnung sein, daß auch
Meister Osman dies wußte. Schmetterlings Eifersucht erhöhte meinen Stolz, denn
er war ja mit seinem von Allah verliehenen Talent ein großer Altmeister
geworden. Weil aber meine Meisterschaft nicht darauf beruhte, des Meisters Rohr
zu umklammern, sondern auf der Stärke meines eigenen Rohrstif tes, spürte ich,
daß es mir gelingen könnte, ihn zur Anerkennung meiner Überlegenheit zu
bringen.
Ich hob meine Stimme und erklärte,
es gebe leider Menschen, die versuchen würden, das wundervolle Buch unseres
Padischahs und des Oheims zu hintertreiben. Altmeister Osman sei unser aller Vater,
unser Lehrmeister, dem wir alles verdankten. Aber nachdem er in dem Schatz
unseres Sultans nach Spuren gesucht und Olive als den gemeinen Mörder entlarvt
habe, versuche er aus einem unerfindlichen Grund, dies zu verheimlichen. Ich
sei sicher, Olive, den man zu Hause nicht finden konnte, halte sich in dem
verlassenen Konvent der Kalenderi-Derwische in der Nähe des Fener-Tores verborgen,
sagte ich und erinnerte daran, daß diese Derwisch-Unterkunft, ein Nest der
Schamlosigkeit und Unmoral, zur Regierungszeit des Großvaters unseres
Padischahs – zwar nicht aus diesem Grund, sondern wegen der endlosen Kriege mit
den Persern – geschlossen worden war und Olive sich einmal gerühmt habe, über
das geschlossene Haus »zu wachen«. Falls sie mir nicht vertrauten und hinter
meinen Worten ein Komplott vermuten sollten, konnten sie mich auf der Stelle
strafen, denn der Dolch war in ihrer
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