Pamuk, Orhan
Lücken in den hölzernen
Wandplanken des Gebäudes, dann an die Ritze eines kleinen Fensterladens, wo ich
im Licht einer Öllampe den bedrohlichen Schatten eines Menschen gewahrte, der
sein Gebet verrichtete oder uns dies glauben machen wollte.
57
Man nennt mich Olive
War es richtig, mein Gebet zu unterbrechen,
aufzustehen und ihnen sofort die Tür zu öffnen, oder besser, sie im Regen
warten zu lassen, bis ich mein Gebet beendet hatte? Als ich merkte, daß sie
mich beobachteten, betete ich bis zum Ende, doch ohne alle Hingabe. Ich
öffnete die Tür, sah sie vor mir stehen, Schmetterling, Storch und Kara, und
schrie auf vor Freude. Begeistert nahm ich Schmetterling in die Arme.
»Was man uns nicht alles angetan
hat!« stöhnte ich und vergrub meinen Kopf an seiner Schulter. »Was wollen sie
von. uns? Warum bringen sie uns um?«
Ich bemerkte bei ihnen die panische
Angst, von der Herde getrennt zu werden, was ich im Lauf meines Künstlerlebens
von Zeit zu Zeit bei jedem Illustrator erlebt hatte. Sogar hier drinnen blieben
sie eng beisammen.
»Fürchtet euch nicht«, sagte ich,
»wir können uns tagelang hier verstecken.«
»Wir sind in Sorge, daß die Person,
vor der wir uns fürchten müssen, unter uns ist«, erklärte Kara.
»Auch ich fürchte mich, wenn ich
daran denke«, sagte ich, »denn dieses Gerede ist mir gleichfalls zu Ohren
gekommen.«
Die Gerüchte waren durch die Männer
des Gardenobersten bis in die Buchmalerabteilung vorgedrungen, und man erzählte
sich, der Mörder des Fein Efendi und des Oheims sei kein Unbekannter mehr und
er befinde sich unter uns, die wir uns mit dem Buch beschäftigt hatten.
Kara fragte, wie viele Bilder ich
für das Buch seines Oheims gemalt hätte.
»Das erste war der Satan. Ich habe
dazu einen Dämon der Unterwelt gezeichnet, wie ihn die alten Meister in den
Buchmalerwerkstätten der Herrscher vom Weißen Hammel oftmals dargestellt haben.
Der meddah und ich waren Reisende auf dem gleichen Sufi-Pfad, also
zeichnete ich für ihn die beiden Gottesnarren. Ich habe sie auch deinem Oheim
für sein Buch empfohlen und ihn davon überzeugt, daß diese Derwische in den
Ländern des Osmanen durchaus ihren Platz haben.«
»Ist das alles?« fragte Kara.
Als ich erklärte, das sei alles,
ging Kara so überheblich zur Tür, als habe er einen Lehrling beim Stehlen erwischt,
brachte von draußen eine Rolle vom Regen verschonter Papiere herein und
breitete sie wie eine Katzenmutter, die ihren Jungen einen verletzten Vogel
bringt, vor uns drei Buchmalern aus.
Ich erkannte sie schon, als er sie
noch unter dem Arm hielt. Es waren jene Bilder, die ich heute nacht während des
Überfalls auf das Kaffeehaus ergriffen und gerettet hatte. Ich fragte nicht,
wie man in mein Haus eingedrungen war, um sie von dort zu entwenden. Trotz
allem blieben wir gelassen, Schmetterling, Storch und ich, und zeigten eins
nach dem anderen, was jeder von uns für den seligen meddah angefertigt
hatte. So blieb ein Pferd zurück, ein schönes Pferd mit geneigtem Kopf. Glaubt
mir, ich hatte nicht einmal gewußt, daß ein Pferd unter den Abbildungen gewesen
war.
»Hast nicht du dieses Pferd
gemacht?« fragte Kara wie ein stockbewehrter Hodscha.
»Das habe ich nicht gemacht«,
erklärte ich.
»Und jenes für das Buch meines
Oheims?«
»Auch das ist nicht von mir.«
»Vom Stil her steht aber fest, daß
du das Pferd gezeichnet hast«, sagte er. »Außerdem war es Meister Osman, der
das herausfand.«
»Ich habe keinerlei Stil«, erwiderte
ich. »Und ich sage das keineswegs, um mich damit zu brüsten, ich sei gegen die
augenblicklichen Strömungen, und ebensowenig, um meine Unschuld zu beweisen.
Denn einen Stil zu haben ist für mich schlimmer, als ein Mörder zu sein.«
»Es gibt etwas, was dich von anderen
und von den alten Meistern unterscheidet«, sagte Kara.
Ich lächelte ihm zu. Er hatte
begonnen, von Dingen zu sprechen, die euch allen bekannt sein dürften. Er
redete von der gemeinsamen Suche unseres Padischahs und seines Schatzmeisters
nach einer Lösung für die Morde, der Dreitagefrist für Meister Osman, der Hofdamen-Methode,
den geschlitzten Nüstern der Pferde und dem größten aller Wunder, der
Erlaubnis, die Schatzkammer des Enderun zu betreten und tatsächlich die
einzigartigen Bilder betrachten zu dürfen, und ich hörte aufmerksam zu. Es gibt
Zeiten in unser aller Dasein, da wir schon im Augenblick des Geschehens
begreifen, daß wir etwas erleben, was wir lange danach nicht vergessen
Weitere Kostenlose Bücher