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Pamuk, Orhan

Pamuk, Orhan

Titel: Pamuk, Orhan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rot ist mein Name
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fröhlichen, witzigen Versammlung teilnehmen zu dürfen. Ich schilderte,
daß zu Beginn des Überfalls große Verwirrung entstanden sei und niemand daran
gedacht habe, das Kaffeehaus und den armen alten meddah in seinen
Frauenkleidern mutig zu verteidigen, während die vom Besitzer versammelte, nach
unanständigen Geschichten lechzende Menge in schuldbewußter Panik durch die
Türen hinten und vorn zu entkommen versuchte. Ob mich das betrübe? Ja! Ich,
Musavvir Mustafa, mit anderem Namen Storch, der ich mein ganzes Leben aus
vollem Herzen der Malkunst gewidmet habe, sagte dem vor Eifersucht kranken, spatzenhirnigen
Schmetterling, der wie ein rundlicher Junge mit tränenfeuchten Augen wirkte,
direkt ins Gesicht, daß es mir ein Bedürfnis sei, jeden Abend mit meinen
Buchmalerbrüdern irgendwo beisammenzusitzen, mich zu unterhalten, zu scherzen
und zu spotten, Poesie aufzusagen, geistreiche Worte und Anspielungen zu
machen. Unser Kelebek, der Schmetterling, mit den immer noch kindlich schönen
Augen war auch in seiner Lehrzeit eine feinfühlige Schönheit mit wundervoller
Haut gewesen.
    Und ich berichtete auf ihre weiteren
Fragen hin, daß der selige alte meddah, der erzählend durch die Stadt
und die Viertel gewandert war, am zweiten Tag seine Plauderkünste in dem
Kaffeehaus, dem ständigen Treffpunkt der Buchmaler, etwas vorgetragen hatte,
als einer der Illustratoren vielleicht in Kaffeelaune zum Scherz ein Bild an
die Wand gehängt habe. Das sei dem beredsamen meddah aufgefallen, und er
habe daraufhin ebenso scherzhaft zu reden begonnen, als sei es der Hund auf
dem Bild, der spräche, was soviel Anklang fand, daß man jeden Abend mit den
Bildern, die einer der Buchmalermeister zeichnete, und mit den Scherzen, die
dem Erzähler ins Ohr geflüstert wurden, fortfuhr. Weil die Sticheleien gegen
den Prediger von Erzurum die Illustratoren belustigte, obwohl sie den Zorn des
Hodschas fürchteten, und dem Kaffeehaus auch viele neue Kunden einbrachten,
wurde die ganze Sache von dem aus Edirne stammenden Besitzer gefördert.
    Sie hätten die vor uns
ausgebreiteten Bilder, die jede Nacht hinter dem meddah aufgehängt
worden waren, bei ihrem Eindringen in das leere Haus unseres Bruders Olive
gefunden, sagten sie, und wollten von mir eine Erläuterung hören. Eine
Erläuterung sei überflüssig, sagte ich, der Kaffeehausbesitzer sei wie Olive
ein Kalenderi-Derwisch, Bettler, Dieb und gemeiner Fremdling. Der einfache
Fein Efendi, den die Worte des Hodscha Efendi und besonders dessen mit
drohenden Brauen vorgetragene Freitagspredigten zu Tode erschreckt hatten,
mußte sich wohl bei den Erzurumern über das Treiben beklagt haben, meinte ich. Oder
er habe versucht, was noch eher möglich sei, zu warnen und Einhalt gefordert,
worauf Olive den armen Illuminator gnadenlos ermordet habe. Die darüber erzürnten
Erzurumer könnten auch den Oheim ermordet haben, weil der Fein Efendi ihnen
vielleicht von dessen Buch erzählt hatte und sie den Oheim für den Mord an
jenem verantwortlich machten, und ein weiterer Racheakt war wohl heute ihr
Überfall auf das Kaffeehaus.
    Wieviel Beachtung schenkten sie
meinen Schilderungen, der rundliche Schmetterling, der jeden Deckel öffnete,
jeden Stein umdrehte und all meine Sachen ganz genau und mit Vergnügen durchsuchte,
und der ernsthafte Kara, der einem Gespenst glich? Als Schmetterling in der
verzierten Nußbaumtruhe auf meine Stiefel, meine Rüstung und mein Kriegsgerät
stieß, sah ich Neid auf seinem kindlichen Gesicht und verkündete noch einmal
stolz, was jeder nur allzugut wußte: Ich war der erste moslemische Illustrator,
der mit dem Heer ins Feld gezogen war und das Kanonenfeuer, die Türme der
feindlichen Festungen, die Farben in den Kleidern der ungläubigen Krieger, die
am Flußufer ausgelegten Leichen und die Haufen abgeschlagener Köpfe, die
Aufstellung und den Angriff der gepanzerten Reiter sorgfältig beobachtet und
in den Büchern des Triumphes abgebildet hatte!
    Als Schmetterling mich bat, ihm zu
zeigen, wie man die Rüstung anlegte, zog ich ohne Zögern meine mit schwarzem
Hasenfell bezogene Weste, mein Hemd, meinen Schalwar und meine Unterhose aus.
Es gefiel mir, wie sie mich im Schein des Hemdes betrachteten, und ich zog die
unter der Rüstung zu tragende lange, saubere Unterhose sowie das gegen die
Kälte schützende Hemd aus dickem Stoff an, dazu meine Wollstrümpfe, die gelben
Lederstiefel und ihre Gamaschen. Ich nahm den Brustpanzer aus seiner Umhüllung
und legte ihn mit

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