Pamuk, Orhan
Hand.
Schmetterling versetzte mir noch
zwei harte Schläge mit dem Dolch, denen so manche Rüstung nicht standgehalten
hätte. Er wandte sich Kara zu, der mir zustimmte, und schrie ihn auf kindische
Weise an. Ich näherte mich ihm von hinten, legte meinen gepanzerten Arm um
seinen Hals und zog ihn an mich. Mit der anderen Hand beugte ich seinen Arm,
so daß er den Dolch fallen ließ. Im Grunde genommen rangen wir weder richtig
miteinander noch spielten wir ein Spiel. Ich sprach von der Geschichte einer
solchen Szene aus dem Buch der Könige. Sie ist wenig bekannt.
»Als sich die Heere von Iran und
Turan am dritten Tag unter den Hängen des Berges Hamaran in voller Rüstung
gegenüberstanden, sandten die Turaner den gewandten Şengil auf den Kampfplatz, um
herauszufinden, wer der geheimnisvolle Iraner war, der jeden Tag einen der großen
turanischen Krieger umbrachte«, begann ich meine Erzählung. »Und der
geheimnisvolle Krieger ging auf die Herausforderung Şengil ein. Während die Heere, deren Rüstungen
hell in der Mittagssonne glänzten, auf beiden Seiten atemlos das Kampfgeschehen
verfolgten, drangen die gepanzerten Pferde der beiden Helden so rasend aufeinander
ein, daß die aus den Rüstungen sprühenden Funken das Fell der Pferde rauchen
ließen. Der Kampf währte lange. Der Turaner schoß seine Pfeile ab, der Iraner
gebrauchte sein Schwert und sein Pferd auf das beste, doch schließlich packte
der geheimnisvolle Iraner Şengils Pferd beim Schwanz, worauf der
Turaner zu Boden stürzte. Als er zu fliehen versuchte, umfing ihn der Iraner in
seiner Rüstung von hinten und packte ihn im Nacken. Der Turaner gab sich
geschlagen, wollte aber wissen, wer sein geheimnisvoller Gegner war, und
stellte hoffnungslos die alle seit Tagen bewegende Frage: ›Wer bist du?‹
›Für dich ist mein Name Tod‹, antwortete der mysteriöse Krieger. Wer
war's?«
»Der legendäre Rüstem war's«,
erklärte Schmetterling voll kindlicher Freude.
Ich küßte ihn auf den Nacken. »Wir
alle haben Meister Osman verraten«, sagte ich. »Bevor er uns bestraft, müssen
wir uns ernsthaft miteinander verständigen, Olive finden und das Gift aus unserer
Mitte entfernen, damit wir den ewigen Feinden der Malkunst und jenen, die uns
im Handumdrehen der Folter ausliefern möchten, fest entgegentreten können.
Vielleicht erfahren wir auch, wenn wir erst einmal Olives verlassenen
Derwischkonvent erreicht haben, daß keiner von uns ein grausamer Mörder ist.«
Der arme Schmetterling äußerte
keinen Laut. Wie talentiert, ehrgeizig oder protegiert er auch sein mochte, er
hatte wie alle Illustratoren, die einer des anderen Nähe suchten, obwohl sie
einander voller Eifersucht haßten, im Grunde genommen entsetzliche Angst davor,
in die Hölle zu kommen und auf dieser Welt ganz allein zu bleiben.
Auf dem Wege zum Fener-Tor stand ein
seltsamer, grünlichgelber Schein über uns am Himmel, doch es war kein
Mondlicht. Der vertraute nächtliche Anblick von Istanbul mit seinen Zypressen,
Kuppeln, Steinmauern, Holzhäusern und leeren Brandstätten wirkte allein durch
diesen Lichtschein so fremd wie eine feindliche Festung. Während wir hügelauf
stiegen, sahen wir weit entfernt irgendwo hinter der Beyazıt-Moschee ein
Feuer brennen.
Als wir in der pechschwarzen
Dunkelheit auf einen Ochsenwagen trafen, der wie wir auf dem Weg zur
Stadtmauer und zur Hälfte mit Mehlsäcken beladen war, gaben wir zwei Asper und
stiegen ein. Kara setzte sich vorsichtig hin, denn er hatte die Bilder bei
sich. Während ich mich ausstreckte und zu den tiefhängenden, vom Feuer
erhellten Wolken aufschaute, fiel der erste Regentropfen auf meinen Helm.
Auf der Suche nach dem verlassenen
Derwischkonvent stöberten wir in dem zur Mitternacht ohnehin menschenleeren
Viertel sämtliche Hunde auf. Obwohl wir in einigen der steinernen Häuser den
Schein von Lampen sahen, die man unseres Lärmes wegen angezündet hatte, wurde
erst die vierte Tür auf unser Klopfen hin geöffnet, und ein älterer Mann mit
einem Käppchen auf dem Kopf, der uns im Licht seiner Lampe anstarrte, als seien
wir Gespenster, beschrieb die verlassene Unterkunft, ohne die Nase in den
stärker fallenden Regen hinauszustecken, wobei er genüßlich hinzufügte, was
wir dort von bösen Geistern, Dämonen und Gespenstern zu erwarten hätten.
Im Garten des Derwischkonvents
begrüßte uns der Geruch faulender Blätter und die Ruhe stolzer Zypressen, die
der Regen nicht bekümmerte. Zuerst hielt ich mein Auge an die
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