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Pamuk, Orhan

Pamuk, Orhan

Titel: Pamuk, Orhan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rot ist mein Name
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geschlagen und meinen Stolz verletzt
hatte, küßte er am nächsten Morgen meine Arme mit so viel Zärtlichkeit, daß ich
leidenschaftlich daran glaubte, eines Tages ein großer Illustrator zu werden.
Nein, ich habe jenes Pferd nicht gezeichnet.«
    »Wir werden«, Kara wies auf Storch,
»den Derwischkonvent nach dem letzten Bild durchsuchen, das von dem verfluchten
Mörder meines Oheims gestohlen wurde. Hast du es gesehen?«
    »Das war etwas, was weder unser
Padischah noch wir Buchmaler, die wir den alten Meistern verbunden sind, noch
ein glaubenstreuer Moslem hinnehmen konnte«, erklärte ich und schwieg.
    Diese Äußerung spornte ihn noch mehr
an. Zusammen mit Storch begann er, alles auf den Kopf zu stellen und
abzusuchen. Einige Male trat ich neben sie, allein um ihnen die Arbeit zu
erleichtern. In einer der Zellen mit wassertriefender Decke wies ich auf das
Loch im Boden, einmal, damit sie nicht hineinfielen, zum anderen, damit sie es
untersuchen konnten, falls sie wollten. Ich übergab ihnen auch den riesigen
Schlüssel zu der winzigen Zelle, die der Scheich dieser Sekte bewohnt hatte,
bevor sich die Anhänger vor dreißig Jahren den Bektaşi angeschlossen und sich in alle
Winde zerstreut hatten. Als sie sahen, daß diesem Raum, in den sie so begierig
eingetreten waren, die Außenwand fehlte und der Regen ungehindert eindrang,
verzichteten sie sofort auf weiteres Suchen.
    Daß Schmetterling sich von den
beiden anderen fernhielt, gefiel mir zwar, doch ich ahnte auch, daß er sich mit
den beiden anderen zusammentun würde, wenn sie einen Beweis meiner Schuld fänden.
In seiner Angst, Altmeister Osman könnte uns den Folterern ausliefern, hatte
Kara gesagt, wir müßten uns gegenseitig unterstützen, damit wir gemeinsam
stark genug waren, dem Schatzmeister des Großherrn gegenüberzutreten, und
hatte damit Storch für sich gewonnen. Mir war bereits klargeworden, daß Kara
nicht nur den Mörder seines Oheims finden und damit der schönen Şeküre ein
echtes Hochzeitsgeschenk machen wollte, sondern auch die osmanischen Buchmaler
auf den Pfad der fränkischen Meister locken wollte, um mit neuen Geldern
unseres Padischahs die Franken imitieren (was mehr lächerlich als lästerlich
war!) und das Buch des Oheims fertigstellen zu lassen. Und desgleichen begriff
ich natürlich, daß hinter diesem Komplott Storchs Bestreben stand, uns alle und
sogar Meister Osman (der, wie jeder vermutete, sich Schmetterling als
Nachfolger wünschte) loszuwerden und alles daranzusetzen, um die Stelle des
Ersten Illustrators einnehmen zu können.
    Einen Augenblick war ich verwirrt.
Ich horchte auf den Regen und dachte lange nach. Und wie einer, der versucht,
sich durch die Menge an den vorbeireitenden Herrscher und seinen Großwesir
heranzuschlängeln und eine Bittschrift abzugeben, so suchte ich, einer
plötzlichen Eingebung folgend, Storchs und Karas Nähe. Über einen dunklen Flur
und durch eine breite Tür führte ich sie in jenen schrecklichen, einst als
Küche benutzten Raum. Dort fragte ich, ob sie irgend etwas gefunden hätten
unter all dem Schutt – was natürlich nicht der Fall war. Von all den Kesseln,
Töpfen, Schüsseln und Blasebälgen, die hier früher einmal dem Zubereiten der
Mahlzeiten für Arme und Ausgestoßene gedient hatten, war keine Spur mehr zu
sehen. Und ich hatte auch keinen Versuch unternommen, diesen schauerlichen Raum
voller Staub, Dreck, Spinnweben, Hunde- und Katzenkot und Trümmer zu säubern.
Wie immer wirbelte hier drinnen ein starker Windzug herum, von dem man nicht
wußte, woher er kam, schmälerte das Lampenlicht und ließ unsere Schatten einmal
matter und einmal dunkler werden.
    »Ihr habt zwar gesucht, doch meinen
Schatz nicht gefunden«, sagte ich.
    Wie gewohnt fegte ich mit der
Handkante, als wäre sie ein Besen, die Asche vor dem Schutthaufen beiseite, der
dreißig Jahre zuvor ein Herd gewesen war, packte den Griff des freigelegten
eisernen Backofens und zog die quietschende Tür auf. Dann hielt ich die Lampe
an die schmale Öffnung. Ich werde niemals vergessen, wie Storch vorsprang, ehe
Kara sich bewegen konnte, nach den Lederbeuteln griff und sie herausholte. Er
hätte sie dort vor dem Ofen an der Stelle geöffnet, doch ich ging zurück in das
große Zimmer, und da Kara mir folgte, weil er sich hier vor dem Alleinbleiben
fürchtete, kam auch Storch auf seinen langen, dünnen Beinen hinter uns her.
    Als sie sahen, daß der Beutel meine
sauberen Strümpfe, meinen Schalwar, meine rote Unterhose,

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