Pamuk, Orhan
mein feinstes
Unterhemd, mein Seidenhemd, mein Rasiermesser, meinen Kamm und andere persönliche
Dinge enthielt, stutzten sie einen Augenblick. Aus dem zweiten, schweren Beutel
aber, den Kara öffnete, kamen nach und nach fünfundfünfzig venezianische
Goldstücke und während der letzten Jahre in der Buchmalerwerkstatt beiseite
geschafftes Blattgold hervor, außerdem mein vor allen verheimlichtes
Musterheft, zwischen dessen Seiten weitere gestohlene Goldblätter lagen, eine
Sammlung unanständiger Bilder, deren einige ich selbst gemalt hatte, während
ich andere im Lauf der Zeit gesammelt hatte, ein Achatring und eine weiße
Haarsträhne als Andenken an meine geliebte Mutter sowie meine besten
Rohrstifte und Pinsel.
»Wäre ich, wie ihr glaubt, ein
Mörder«, sagte ich mit törichtem Stolz, »dann hätten sich nicht diese Dinge in
meinem heimlichen Schatz befunden, sondern das letzte Bild.«
»Warum diese Sachen?« fragte Storch.
»Als die Männer des Gardenobersten
mein Haus durchsuchten so wie auch deines durchsucht wurde –, haben sie
unverschämterweise zwei dieser Goldstücke eingesteckt, die ich ein Leben lang
gespart habe. Ich dachte mir, daß man uns dieses gemeinen Mörders wegen erneut
durchsuchen würde, und habe recht behalten. Wäre das letzte Bild bei mir
gewesen, hätte es zwischen diesen Sachen gesteckt.«
Diesen letzten Satz zu äußern war
ein Fehler, trotzdem spürte ich, daß sie erleichtert waren und nicht mehr
befürchteten, ich könnte ihnen in einem dunklen Winkel des Derwischkonvents an
die Kehle gehen. Habt auch ihr mir geglaubt?
Doch nun hatte mich ein Gefühl der
Unruhe ergriffen: Es wurmte mich weniger, daß meine mir von Kindesbeinen an
vertrauten Buchmalerfreunde die seit langem knauserig zusammengesparten Münzen,
das zugekaufte und versteckte Gold und darüber hinaus die unanständigen Bilder
und meine Hefte gesehen hatten. Nein, ich bereute es, weil ich meinen
Malerfreunden all diese Dinge in einem Augenblick der Panik gezeigt hatte. Nur
wenn ein Mensch sein Leben so sehr dem Zufall überließ, konnte sein Geheimnis
so leicht offenbar werden.
»Dennoch«, meinte Kara lange danach,
»sollten wir uns darüber einigen, was wir unter der Folter aussagen würden,
falls Altmeister Osman ungerührt, ohne Warnung und ohne Hinweis auf einen allein,
uns alle dem Obersten der Gartengarde ausliefert.«
Ich spürte den Verdruß, die
Gedankenlosigkeit, die sich über uns senkte. Storch und Schmetterling schauten
sich beim blassen Schein der Lampe die unzüchtigen Bilder in meinem Heft an.
Sie zeigten sich auf erschreckende Weise sogar zufrieden. Ich vermutete, daß
sie ein bestimmtes Blatt betrachteten, und fühlte das starke Bedürfnis,
nachzusehen, ob diese Vermutung stimmte; also stand ich auf, trat hinter sie
und betrachtete schweigend und wie von der Auffrischung einer schönen, weit
zurückliegenden Erinnerung erregt das schlüpfrige Bild von meiner eigenen Hand.
Auch Kara stellte sich zu uns. Es erleichterte mich sehr stark, daß wir die
Illustration alle vier gemeinsam anschauten.
Viel später sagte Storch: »Kann der
Blinde jemals dem Sehenden gleich sein?« Wollte er damit andeuten, das uns von
Allah verliehene Vergnügen am Schauen sei erhaben, auch wenn das Geschaute
unzüchtig war? Storch verstand aber nichts von diesen Dingen, las nie im Koran.
Ich wußte, daß die alten Meister von Herat diesen Koranvers oftmals zitiert
hatten. Er diente ihnen als Antwort, wenn die Feinde der Malkunst behaupteten,
unser Glaube verbiete das Malen von Bildern, und drohten, alle Malkünstler
würden am Jüngsten Tag zur Hölle fahren. Doch ich hatte die Worte, die wie von
selbst aus Schmetterlings Mund zu strömen schienen, bis zu diesem magischen
Augenblick niemals von ihm gehört:
»Ich würde gern ein Bild malen, das
zeigt, daß der Blinde dem Sehenden nicht gleich ist!«
»Wer sind der Blinde und der
Sehende?« fragte Kara einfältig.
»Ungleich sind der Blinde und der
Sehende, das ist's, was ›wa ma yastawil'ama wa'l basiru‹ bedeutet«,
erklärte Schmetterling und fuhr fort:
»Und
nicht die Finsternis und das Licht,
Und nicht der kühle Schatten und der
heiße Wind,
Auch gleichen sich nicht die
Lebenden und die Toten.«
Auf einmal schauderte ich bei dem Gedanken an
das Schicksal des Fein Efendi, des Oheims und unseres meddah-Bruders, der heute
abend ermordet worden war. Hatten die anderen sich auch so gefürchtet wie ich?
Eine Zeitlang rührte sich niemand vom Fleck. Noch immer
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