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Pamuk, Orhan

Pamuk, Orhan

Titel: Pamuk, Orhan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rot ist mein Name
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und ihm schon längst den Kopf abgehauen!
Als dieser Neider merkte, daß ich mehr wußte, klüger und feinsinniger war, fing
er ständig unter irgendeinem Vorwand Streit mit mir an, und falls das nicht
ging, sagte er, laß uns ringen, und wenn ich gleich danach unter ihm lag,
drückte er meine Schultern auf dieselbe Weise mit den Knien herunter, starrte
mir in die Augen, wie Kara es jetzt tat, ließ einen Batzen Spucke zwischen den
Lippen hängen, zielte damit auf meine Augen, während er immer größer wurde, und
freute sich, wenn ich vor Ekel und Angst, es könnte jeden Augenblick herunterfallen,
meinen Kopf nach rechts und links zu drehen versuchte.
    »Verbirg nichts!« forderte mich
Kara auf. »Wo ist das letzte Bild? Bekenne!«
    Aus zwei Gründen spürte ich eine
würgende Trauer und Wut: Erstens, weil sie sich vorher verständigt hatten,
ohne daß es mir auffiel, und all meine schönen Worte umsonst gewesen waren.
Zweitens, weil ich mir nicht hatte vorstellen können, daß Eifersucht so weit
gehen würde, und nicht rechtzeitig geflohen war.
    Wenn ich das letzte Bild nicht
hergäbe, werde er mir die Kehle durchschneiden, sagte Kara.
    Das war lächerlich. Ich hielt die
Lippen fest zusammengepreßt, als könnte die Wahrheit entweichen, wenn ich den
Mund aufmachte. Andererseits überlegte ich, daß nichts mehr zu machen war.
Wenn sie übereinkamen und mich dem Schatzmeister als Mörder meldeten, dann
zogen sie ihren Kopf aus der Schlinge. Meine einzige Hoffnung war, daß Meister
Osman auf jemand anders, auf eine Spur hinwies, doch ob es stimmte, was Kara
über ihn gesagt hatte? Konnten sie mich hier umbringen und später die ganze
Schuld auf mich schieben?
    Sie drückten mir den Dolch an die
Kehle, und ich erkannte sofort, welch unverkennbare Lust das Kara bereitete.
Sie schlugen mich ins Gesicht. Ob mir der Dolch in die Kehle schnitt? Und
wieder schlugen sie mich.
    Aber auch auf die folgende Logik
konnte ich setzen: Wenn ich nichts sagte, würde auch nichts geschehen! Das gab
mir Kraft. Sie konnten es nicht länger verbergen, daß sie auf mich, der ich ein
Leben lang ganz offenkundig die besten Farben aufgetragen, die schönsten
Linien gezogen und am besten illustriert hatte, schon seit den Lehrjahren
eifersüchtig waren. Ich liebte sie dafür, daß ihre Eifersucht so groß war, und
ich lächelte meinen geliebten Brüdern zu.
    Einer von ihnen – ich möchte nicht,
daß ihr erfahrt, wer diese Unanständigkeit beging – küßte mich heiß und innig,
als wäre ich sein lange Zeit sehnsüchtig vermißter Geliebter. Die anderen sahen
im Licht der Lampe zu, die sie näher heranhielten. Ich erwiderte diesen Kuß
meines geliebten Bruders. Wenn wir schon am Ende aller Dinge gelangen, soll man
wissen, wie ich die besten Bilder male. Findet meine Seiten und überzeugt euch
selbst.
    Daß ich den Kuß mit einem Kuß
erwiderte, schien ihn sehr in Wut gebracht zu haben, denn er begann mich heftig
zu schlagen. Doch die anderen hielten ihn zurück. Sie waren ein wenig unschlüssig.
Kara ärgerte sich über das Handgemenge. Es war, als ob ihr Zorn nicht mir
gelte, sondern der Richtung, die ihr Leben eingeschlagen hatte, und als ob sie
nun an jedem und der ganzen Welt Rache nehmen wollten.
    Kara holte etwas aus seiner Schärpe
hervor: eine lange Nadel mit scharfer Spitze. Plötzlich hielt er sie über mein
Gesicht und machte eine Bewegung, als wolle er sie in mein Auge stechen.
    »Der große Behzat, Meister der
Meister, hat vor achtzig Jahren, als Herat fiel, verstanden, daß alles zu Ende
war, und sich selbst geblendet, damit ihn niemand zwingen konnte, auf andere
Weise zu illustrieren«, sagte er. »Einige Zeit nachdem er diese
Federbuschnadel langsam in sein Auge gestochen und wieder entfernt hatte,
senkte sich Allahs herrliche Dunkelheit ganz allmählich über seinen geliebten
Knecht, den Maler mit der Wunderhand. Diese Nadel wurde von Schah Tahmasp
zusammen mit jenem legendären Buch der Könige dem Vater unseres Padischahs
als Geschenk übersandt. Zuerst konnte Meister Osman nicht herausfinden, warum
sie mitgeschickt worden war. Doch heute erkannte er den bösen Willen und die
gerechte Logik hinter diesem grausamen Geschenk. Nachdem er erfahren mußte,
daß unser Sultan sein eigenes Bildnis im Stil der fränkischen Meister malen
lassen wollte, und daß er von euch, die er mehr als die eigenen Kinder liebt,
verraten wurde, hat Meister Osman letzte Nacht in der Schatzkammer diese Nadel
so wie Behzat in sein Auge gestochen. Was

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