Pamuk, Orhan
zerstörte ihre Länder und zog mit seinem siegreichen Turkmenenheer
durch ganz Persien bis in den Osten, wo er schließlich auch Ibrahim, den Enkel
des Timur-Sohnes Schah Ruh, bei Astarabad besiegte, Gurgan einnahm und seine
Truppen gegen die Festung Herat führte. Dieser vernichtende Schlag nicht nur
gegen Persien, sondern auch gegen die bis dahin unbesiegte Macht der Timuriden,
die ein halbes Jahrhundert lang die halbe Welt von Indien bis Byzanz beherrscht
hatten, entfachte dem Chronisten von Kerman zufolge einen solchen Sturm des Entsetzens,
daß in der belagerten Festung Herat helle Panik ausgebrochen war. Merkwürdig
genüßlich erinnert Ebu Said den Leser daran, daß Schah Cihan vom Schwarzen
Hammel in den eroberten Festungen jeden aus dem Geschlecht der Timuriden
erbarmungslos tötete, sich jeweils aus dem Harem des Schahs und Prinzen Frauen
aussuchte und sie seinem Harem hinzufügte, die Illustratoren voneinander
trennte und die meisten von ihnen gnadenlos seinen eigenen Buchmalermeistern
als Lehrlinge unterstellte. Doch an dieser Stelle der Geschichte wendet sich
der Chronist von dem Schah und seinen Kriegern und ihrem verzweifelten Versuch,
von den Türmen der Festung aus den Feind zu vertreiben, ab und richtet seine
Aufmerksamkeit auf die Illustratoren, die, in ihrer Werkstatt zwischen
Pinseln, Stiften und Farben sitzend, auf das bereits feststehende, schreckliche
Ende der Umzingelung warten, führt ihre Namen einzeln auf und erklärt, die
ganze Welt kenne sie und man würde sie nie vergessen, und schreibt, daß die
heute längst vergessenen Buchmaler genau wie die Frauen im Harem des Schahs
nichts weiter tun konnten, als sich weinend zu umarmen und der schönen alten
Tage zu gedenken.
Wie die kummervollen Haremsfrauen,
so dachten auch wir zurück an die Zeiten, als uns der Sultan mehr Zuneigung
und Wohlwollen entgegenbrachte, uns pelzbesetzte Kaftane und prall gefüllte
Geldbörsen schenkte, wenn wir ihm an Festtagen bunte, ornamentierte Kästen,
Spiegel und Teller, bemalte Straußeneier, Scherenschnitte, einzelne
Bildblätter, unterhaltsame Alben, Spielkarten und Bücher überreichten. Wo waren
die fleißigen, duldsamen alten Illustratoren jener Tage geblieben, die sich mit
wenigem begnügten? Sie zogen sich nicht in ihre Häuser zurück, um die Blicke
anderer von ihren Arbeiten eifersüchtig fernzuhalten oder die heimlich
übernommenen Aufträge ängstlich zu verbergen, sondern kamen jeden Tag in die
Werkstatt. Wo waren die alten Buchmaler, die in ihrer bescheidenen Art auf den
Bildern ein ganzes Leben lang Palastwände mit feinsten Ornamenten schmückten,
die Blätter von Zypressen einzeln ausführten, deren Unterschied man nur nach
langem Hinschauen erkennen kann, und die leeren Stellen der Seiten mit
siebenblättrigen Steppengräsern füllten? Wo waren die mittelmäßigen Meister,
die neidlos anerkannten, daß Allah in seiner Weisheit und Gerechtigkeit dem
einen allein Talent und Können verlieh, dem anderen aber nur Geduld und
Ergebenheit? Während wir uns an diese väterlichen Meister erinnerten, von denen
einige ständig lächelten und einen Buckel hatten, andere verträumt und
betrunken und wieder andere bemüht waren, uns ihre sitzengebliebene Tochter
aufzudrängen, die niemand zur Frau haben wollte, versuchten wir, die
vergessenen Einzelheiten aus unseren Lehrlings- und frühen Meisterjahren in
der Buchmalerwerkstatt vor unseren Augen wach werden zu lassen.
Da gab es einen schielenden
Rahmenzieher, der seine Zunge beim Linieren der Seiten in seine Wange steckte,
in die linke, wenn er die Linie nach rechts, und in die rechte Wange, wenn er
die Linie nach links zog. Da war ein kleiner, dünner Illustrator, der sich
selbst zuredete: »Nur Geduld, Geduld!« und kichernd vor sich hin lachte, wenn
er Farbe vertropfte. Da gab es den siebzigjährigen Vergoldermeister, der sich
stundenlang mit den Buchbinderlehrlingen im unteren Stockwerk unterhielt und
behauptete, die Stirn mit roter Tinte zu bestreichen würde dem Altern Einhalt
gebieten. Da gab es den reizbaren Altmeister, der einem der Lehrlinge oder auch
jemandem, der zufällig vorbeikam, einen Nagel bemalte, um die Konsistenz der
Farbe zu prüfen, wenn alle seine eigenen Fingernägel bemalt waren. Es gab
einen dicken Illustrator, der uns zum Lachen brachte, wenn er sich mit dem
pelzigen Hasenfuß, der zum Aufsammeln des Goldstaubs beim Vergolden diente,
über den Bart strich. Wo sind sie alle geblieben?
Wo waren die Glättetafeln, die man
so
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