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Pamuk, Orhan

Pamuk, Orhan

Titel: Pamuk, Orhan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rot ist mein Name
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ganzen Tag über das Bild des
schönen Mädchens auf dem Pferd angeschaut, mein Väterchen, und es gibt darin
keine einzige Spur von mir! Dieser Malkünstler mag ein großer Meister sein, und
noch dazu jung und stattlich, doch er liebt mich nicht.« Woraufhin der Schah
die Hochzeit sogleich absagte und Vater und Tochter bis ans Ende ihres Lebens
miteinander allein blieben.
    »Somit entsteht jene Unvollkommenheit, mit
welcher der sogenannte Stil beginnt, der dritten Fabel zufolge aus den
geheimen Zeichen im Antlitz, im Auge, im Lächeln der Schönen, die der Maler
liebt?« fragte Kara auf sehr höfliche, sehr respektvolle Art und Weise.
    »Nein«, gab ich selbstsicher und
stolz zurück. »Was von dem geliebten Mädchen in das Bild des Meisters
einfließt, wird am Ende zur Regel, nicht zur Unvollkommenheit. Denn einige Zeit
später beginnen alle, den Meister nachzuahmen und die Mädchengesichter wie
jene Schöne zu malen.«
    Wir schwiegen eine Weile. Als mir
auffiel, daß Kara seine Aufmerksamkeit, die ganz auf mich gerichtet gewesen
war, während ich meine drei Fabeln erzählte, nun dem leisen Tippeln in der
Vorhalle und im Nebenzimmer zuwandte, wo meine hübsche Frau hin und her ging,
blickte ich ihm geradewegs in die Augen.
    »Die erste Fabel zeigt, daß Stil
Unvollkommenheit ist«, sagte ich. »Die zweite Fabel sagt, ein vollkommenes Bild
verlangt keine Signatur. Die dritte vereint den Sinn der ersten und zweiten
und zeigt auf diese Weise, daß Signatur und Stil nichts weiter bedeuten, als
daß man sich dumm und hochnäsig mit der Unvollkommenheit brüstet.«
    Wieviel verstand dieser Mann, den
ich belehrt hatte, vom Verzieren von Büchern? Und ich fragte: »Hast du aus den
Geschichten erkannt, wer ich bin?«
    »Ich hab's erkannt«, sagte er, doch
überzeugend klang es nicht.
    Doch euch werde ich sogleich ohne
Umschweife sagen, wer ich bin, damit ihr nicht versucht, mich aus der Enge
seiner Ansichtsweise heraus zu verstehen. Mir geht alles leicht von der Hand.
Vergnügt und lachend zeichne und koloriere ich, wie die Altmeister von Kazvin.
Und sage lächelnd: Ich bin besser als jeder andere. Und wenn mich meine Ahnung
nicht trügt, ist der Grund für Karas Besuch bei mir das Verschwinden des
Illuminators Fein Efendi, womit ich jedoch nicht das geringste zu tun habe.
    Kara fragte mich, wie ich die Ehe
mit der Kunst vereine.
    Ich arbeite viel und gern. Vor
kurzem habe ich das schönste Mädchen des Viertels geheiratet. Wenn ich nicht
male, lieben wir uns heiß und innig. Danach arbeite ich weiter. Doch das
behielt ich für mich und sprach über das, was von Bedeutung ist. Während des Malers
Pinsel auf dem Papier wonnevolle Wunder schafft, kann er, wenn er seinem Weibe
beiwohnt, nicht die gleiche Lust und Wonne erzeugen, sagte ich. Auch das
Gegenteil sei wahr, fügte ich noch hinzu: Wenn des Malers Rohr sein Weib
glücklich macht, dann ermattet der andere Rohrstift auf dem Papier. Und wie
jeder, der auf das Können eines Buchmalers neidisch ist, so glaubte auch Kara
liebend gern diese Lügen.
    Er bat darum, die neuesten von mir
gemalten Seiten sehen zu dürfen. Ich ließ ihn an meinem Arbeitspult zwischen den
Farben und Tinten, den Muscheln zum Glätten, den Pinseln und Stiften und den
Täfelchen zum Spitzen der Rohrfedern sitzen. Das sich über zwei Seiten
erstreckende Bild, an dem ich arbeitete, war für das Buch der Feste bestimmt
und schilderte die Feierlichkeiten zur Beschneidung unseres Thronfolgers.
Während sich Kara in das Werk vertiefte, ließ ich mich auf dem roten
Polsterkissen neben ihm nieder und mußte daran denken, daß dort eben noch
meine hübsche Frau mit ihren hübschen Hüften und ich gesessen hatten. Während
ich mit dem Rohrstift dem Kummer der unglücklichen Sträflinge Ausdruck verlieh,
die vor dem Padischah defilierten, hatte mein kluges Weib mein Rohr gehalten.
    In der Szene, an der ich malte,
waren ihrer unbezahlten Schulden wegen ins Gefängnis geworfene Verurteilte mit
ihren Familien zu sehen, die durch die Gnade des Padischahs huldvoll erlöst
wurden. Wie ich es während der Feierlichkeiten miterlebt hatte, zeigte meine
Darstellung den Herrscher am Rande eines Teppichs sitzend, und vor ihm lagen
viele Beutel voll silberner Asper. Gleich hinter ihm saß der Erste
Schatzmeister und las die Schuldsummen aus dem Register vor; die Gefangenen,
mit Eisenringen aneinandergekettet, standen vor dem Padischah, der Kummer
sprach aus den gramverzerrten Gesichtern, ihre Brauen waren gerunzelt, und

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