Pamuk, Orhan
der Frauen seines Harems. Und diese wunderschöne,
von ihm so heiß geliebte Tatarin erwiderte seine Liebe. Sie liebten sich
schweißgebadet alle Nächte bis zum Morgen und waren so glücklich dabei, daß sie
wünschten, es möge immer so bleiben in ihrem Leben. Der beste Weg dazu war, wie
sie herausfanden, stunden- und tagelang ohne Unterlaß Bücher aufzuschlagen und
die herrlichen, makellosen Bilder der alten Meister zu betrachten. Wenn sie
unbeirrbar die sich stets wiederholenden, vollkommenen Bilder der immer
gleichen Geschichten anschauten, spürten sie, wie die Zeit stillstand und ihr
eigenes Glück sich mit den glücklichen Tagen des Goldenen Zeitalters vermengte,
von dem die Geschichten erzählten. In der Buchmalerwerkstatt des Chans gab es
einen Illustrator, einen Meister der Meister, der dieselben Bilder für die Seiten
derselben Bücher in gleicher makelloser Weise von neuem anfertigte. Wenn nun
dieser Buchmalermeister auf einer Seite dem Brauch gemäß Ferhats Leiden seiner
Liebe zu Şirin wegen abbildete oder auch das
Treffen von Mecnun und Leyla und den staunend-sehnsüchtigen Ausdruck der beiden
oder auch die doppeldeutigen, vielsagenden Blicke, die Hüsrev und Şirin in dem paradiesgleichen Garten
tauschten, stellte er statt der Liebespaare den Chan und seine tatarische
Schöne dar. Und wenn jene diese Seiten betrachteten, glaubten sie fest daran,
daß ihre Liebe kein Ende habe, und überschütteten den Meister mit Lob und Gold.
Doch dem wurde soviel Gold und Lob zum Verhängnis, der Teufel ritt ihn, und er
vergaß, daß er die Makellosigkeit seiner Bilder den alten Meistern zu
verdanken hatte. Hochmütig glaubte er, seine Bilder würden noch mehr Anklang
finden, wenn er etwas von seiner Persönlichkeit hinzufügte. Der Chan aber und
seine Geliebte sahen einen Makel in den Neuerungen des Meisterillustrators, in
den Spuren seines persönlichen Stils, und waren in ihrem Genuß gestört. Als
der Chan spürte, daß beim langen Betrachten der Bilder das alte Glückgefühl
hier und dort gestört war, wurde er eifersüchtig auf die schöne Tatarin, weil
sie auf diesen Seiten abgebildet war. Dann begann er, mit einer anderen Sklavin
zu schlafen, um die Tatarin eifersüchtig zu machen. Daß sie dies durch die
Klatschmäuler des Harems erfahren mußte, stürzte die schöne Tatarin in tiefe
Verzweiflung, und sie erhängte sich still an der Zeder im Hof des Harems. Der
Chan gewahrte seinen Fehler, erkannte aber auch, daß die Sucht des Illustrators
nach dem eigenen Stil dahintersteckte, und ließ den vom Teufel verführten
Meister noch am gleichen Tage blenden.
BE
In einem der Länder des Ostens gab es einen
zufriedenen alten Padischah, einen Liebhaber der Kunst des Illustrierens, der
glücklich mit einer wunderschönen Chinesin lebte, die vor kurzem seine Gemahlin
geworden war. Doch wie es so geht, die junge Frau und der gutaussehende Sohn
aus der vorigen Ehe des Sultans verliebten sich ineinander. Der Sohn hatte
Angst, weil er den Vater hintergangen hatte, schämte sich der verbotenen Liebe,
zog sich in die Buchmalerwerkstatt zurück und ging ganz in der Kunst des
Malens auf. Da er mit dem Kummer und der Kraft seiner Liebe malte, wurde jedes
seiner Bilder so schön, daß sie kein Betrachter von denen der alten Meister
unterscheiden konnte, und der Padischah war stolz auf seinen Sohn. Seine junge
chinesische Gemahlin jedoch schaute die Bilder an und sagte: »Ja, sehr schön,
doch die Jahre werden vergehen, und niemand wird wissen, daß er sie geschaffen
hat, wenn er sie nicht mit seinem Namen zeichnet.« Der Padischah fragte: »Wenn
mein Sohn seinen Namen auf das Bild setzt, wird er dann nicht zu Unrecht als
das Seine ausgeben, was er von den alten Meistern übernommen hat? Und wenn er
seinen Namen daraufsetzt, weist er damit nicht auch auf die eigene
Unzulänglichkeit hin?« Die junge Frau mußte einsehen, daß ihr alter Gemahl
nicht zu überreden war, dennoch gelang es ihr schließlich, dem Vorschlag mit
der Signatur in der Buchmalerwerkstatt, wo der Prinz abgeschieden lebte, Gehör
zu verschaffen. Der Sohn, dessen Stolz gebrochen war, weil er seine Liebe in
sich verschließen mußte, folgte nicht nur dem Rat seiner schönen jungen
Stiefmutter, sondern hörte auf das Flüstern des Satans, setzte seinen Namen in
die Ecke eines Bildes zwischen Gräser und Mauerwerk und meinte, es falle dort
nicht auf. Das erste von ihm signierte Bild war eine Szene mit Hüsrev und Şirin, die euch bekannt ist:
Nach der
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