Pamuk, Orhan
Hochzeit des Paares verliebt sich Şiruye, der Sohn aus erster Ehe, in Şirin, steigt eines Nachts
durchs Fenster ein und erdolcht seinen Vater im Bett neben der schlafenden
Gemahlin. Als der alte Padischah diese von seinem Sohn gemalte Szene
betrachtete, spürte er plötzlich Unbehagen. Er sah die Signatur im Bild, doch
er war sich des Gesehenen nicht bewußt – wie es vielen von uns geschehen
könnte – und ahnte nur, daß dies ein fehlerhaftes Bild war. Da so etwas den
alten Meistern niemals unterlaufen würde, geriet der Padischah in Aufregung.
Denn das hieß, der Band, in dem er las, erzählte nicht eine Geschichte, eine
Legende, sondern das, was sich für ein Buch am wenigsten ziemte: ein wahres
Geschehen. Ahnungsvoll wurde der alte Mann von Entsetzen gepackt. Und im selben
Augenblick sprang sein Sohn durch das Fenster herein, wie in dem Bild, das er
gemalt hatte, und stieß dem Vater, ohne in dessen angstgeweitete Augen zu
blicken, den riesigen Dolch in die Brust.
CIM
Zufrieden schreibt Raschiduddin von
Kazvin in seiner Chronik, daß vor nunmehr zweihundertundfünfzig Jahren das
Schmücken der Bücher, die Kalligraphie und das Illustrieren in seiner
Heimatstadt die meistgeschätzten und meistgeliebten Künste waren. Der Schah,
der zu jener Zeit über vierzig Länder von Byzanz bis China herrschte
(vielleicht war die Liebe zur Buchmalerei das Geheimnis dieser großen Macht!),
hatte leider keine männlichen Nachkommen. Damit die eroberten Länder nach
seinem Tode nicht aufgeteilt würden, beschloß er, seiner schönen Tochter einen
klugen Illustrator zum Gemahl zu geben, und eröffnete einen Wettstreit unter
den drei großen jungen, unbeweibten Meistern seiner Buchmalerwerkstatt. Dem
Historiker Raschiduddin zufolge war das Thema des Wettstreits ein leichtes:
Wer malte das schönste Bild? Das hieß, wie Raschiduddin und natürlich auch die
jungen Illustratoren wußten, sie mußten es den alten Meistern gleichtun. Und so
malten alle drei eine der beliebtesten Szenen, ein schönes Mädchen, das von
Liebeskummer überwältigt den Kopf zur Erde neigt, in einem paradiesischen
Garten unter Zypressen und Zedern, zwischen scheuen Hasen und aufgeregten
Schwalben. Ohne voneinander zu wissen, schufen sie alle das gleiche Bild nach
Art der Altmeister, doch einer von ihnen, der sich besonders hervortun wollte,
verbarg in dem abgelegensten Winkel des Gartens zwischen den Narzissen seine
Signatur, um zu zeigen, wem die Schönheit des Bildes zu verdanken war. Er
wurde aber sogleich um dieses Hochmuts willen, der ihn die Bescheidenheit der
alten Meister hatte vergessen lassen, aus Kazvin nach China verbannt. Danach
kam es zu einem neuen Wettstreit zwischen den anderen beiden Malern. Diese
zeichneten nunmehr jeder ein wunderbar poetisches Bild von einem schönen
Mädchen in einem herrlichen Garten auf einem Pferd. War es ein falscher Pinselstrich,
war es Absicht, man weiß es nicht, aber einer der Malkünstler zeichnete die
Nüstern des weißen Pferdes, auf dem das Mädchen mit den chinesisch schmalen
Augen und den hohen Wangenknochen saß, ein wenig seltsam. Dies wurde von Vater
und Tochter sofort als ein Mangel erkannt. Zwar hatte er nicht seinen Namen
daraufgesetzt, der Illustrator, doch meisterlich eine kleine Abweichung an den
Nüstern des Pferdes angebracht, damit er auffalle. Aus Abweichungen entspringt
ein Stil, sagte der Schah und verbannte diesen Maler nach Byzanz. Während nun
die Vorbereitungen zur Hochzeit der Tochter des Schahs mit dem geschickten
Buchmaler getroffen wurden, der ohne Signatur, fehlerlos und ganz so wie die
alten Meister malte, ergab sich noch etwas im letzten Augenblick, wie die
umfangreiche Geschichte des Raschiduddin von Kazvin sagt: Am Tag vor der
Hochzeit betrachtete die Tochter des Schahs von morgens bis abends das Werk des
jungen, stattlichen Meistermalers, der am nächsten Tag ihr Gatte werden sollte.
Als sich das Abenddunkel herabsenkte, ging sie zu ihrem Vater und sagte: »Es
ist richtig, daß die Altmeister auf ihren wunderbaren Bildern schönen Mädchen
die Züge einer Chinesin gaben und dies eine aus dem Osten überkommene feste
Regel ist. Doch wenn sie ein Mädchen liebten, dann fügten sie dem Auge, der
Braue, den Lippen, dem Haar, dem Lächeln, ja, den Wimpern sogar ein Etwas, eine
Spur von der Schönheit der Geliebten bei. Diese heimlich in die Bilder
eingefügte Abweichung war dann ein Zeichen ihrer Liebe, das nur sie selbst und
ihre Geliebten erkennen konnten. Nun habe ich den
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