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Pamuk, Orhan

Pamuk, Orhan

Titel: Pamuk, Orhan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rot ist mein Name
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einigen
liefen die Tränen über die Wangen; die Ud- und Tambur-Spieler waren in Rot und
mit hübschen Gesichtern gemalt, denn sobald der Padischah seine Börsen öffnete
und gnädig die Schulden tilgte, würden sie die Gebete und Gedichte der von der
Gefängnisstrafe Befreiten mit ihrer Musik begleiten, und neben dem letzten der
unseligen Sträflinge hatte ich nicht nur seine vor lauter Kummer entstellte
Frau im purpurfarbenen Gewand gemalt, um den Schmerz und die Scham des in
Schulden Geratenen recht deutlich zu machen, sondern aus einer unverhofften
Eingebung heraus auch seine tief betrübte, überaus liebliche Tochter mit langem
Haar und im scharlachroten Überkleid. Eigentlich wollte ich Kara noch etwas
über die Art und Weise erzählen, in der sich die in Ketten gefesselten
Schuldner Reihe um Reihe über die beiden Seiten verteilten, auch über die
heimliche Logik der Farbe Rot im Bild und daß ich den mit aller Liebe
gezeichneten Hund am Rand in derselben Farbe wie den atlasseidenen Kaftan des
Padischahs gemalt hatte, was bei den alten Meistern unmöglich gewesen wäre, wie
ich es beim Anschauen des Bildes und unter Scherzen mit meiner Frau beredet
hatte, alles nur, damit dieser Kara mit den gerunzelten Augenbrauen verstand,
daß malen hieß, das Leben zu lieben, doch er stellte mir eine sehr ungehörige
Frage.
    Ob ich wohl wüßte, wo der arme Fein
Efendi abgeblieben sein könnte?
    Was heißt arm! Ein Imitator, keinen
roten Heller wert, der nur für Geld Verzierungen macht, ein Schwachkopf von
geringer Einfallsgabe, dachte ich für mich, sagte aber nur: »Nein, ich weiß es
nicht.«
    Ob ich wohl in Betracht gezogen
hätte, daß die Kampfhähne aus dem Umkreis des Erzurumer Predigers dem Fein
Efendi etwas angetan haben könnten?
    Ich sagte nicht, daß er ja zu denen
gehöre, sondern hielt mich zurück und äußerte nur: »Nein, warum?«
    Diese Armut, Pest, Unmoral und
Niedertracht, denen wir wie Sklaven ausgeliefert sind in der Stadt Istanbul,
lassen sich allein dadurch erklären, daß wir uns vom Glauben aus der Zeit Mohammeds,
des von Allah Gesandten, entfernt und neue, üble Sitten angenommen haben und
daß die Bräuche der Franken bei uns eingedrungen sind. Nur dieses predigt der
Erzurumer, doch seine Feinde behaupten, seine Anhänger würden über jene
Derwischkonvente herfallen, die Musik machen, sie würden die Gräber der
Heiligen schänden, und so versuchen sie, den Padischah zu täuschen. Und weil
sie wissen, daß ich dem Erzurumer nicht feindlich gesinnt bin, wollen sie auf
feine Art etwas andeuten und fragen: Hast du etwa den Fein Efendi aus dem Weg
geräumt?
    Auf einmal wurde mir klar, daß
dieses Gerede schon lange unter den Buchmalern verbreitet ist. Die ganze
einfallslose, unbegabte und unfähige Mannschaft ist jetzt dabei, mich überall
als den gemeinen Mörder anzuschwärzen. Und nur weil er die Verleumdungen
dieses eifersüchtigen Buchmalerhaufens ernst nimmt, möchte ich diesem törichten
Kara am liebsten das Tintenfaß über den Tscherkessenschädel ziehen!
    Kara schaut sich genau in meiner
Werkstatt um, prägt sich alles ein, was er sieht, die langen Papierscheren, die
Schalen mit Auripigment, die Farbtöpfe, den Apfel, von dem ich beim Arbeiten
hin und wieder etwas abbeiße, mein Kaffeetöpfchen, das hinten am Herdrand
steht, meine Kaffeetäßchen, die Sitzkissen, das durchs halboffene Fenster
einfallende Licht, den Spiegel, mit dem ich die Proportionen der Seiten prüfe,
meine Westen und die wie sündig am Boden liegende rote Schärpe meiner Frau, die
sie fallen ließ, als man an die Tür klopfte und sie rasch aus dem Raum
schlüpfte.
    Auch wenn ich meine Gedanken vor ihm
verberge, so liefere ich doch den von mir bewohnten Raum und meine Bilder
seinen respektlosen, zudringlichen Blicken aus. Ich weiß, dieser mein Stolz
wird euch alle erstaunen, doch ich verdiene das meiste Geld, und das heißt, ich
bin der beste der Illustratoren. Denn es war der Wille Allahs, daß die Kunst
des Schmückens ein Vergnügen sei, die dem, der zu schauen weiß, zeigen soll,
daß die Welt auch ein Vergnügen ist.

13
  Man nennt mich Storch
    Es war die Zeit des Mittagsgebets. Man klopfte an
die Tür, ich schaute hinaus, und sieh da, es war der Kara aus unserer
Kinderzeit. Er fror, ich ließ ihn ein und fragte nicht einmal, wie er den Weg
zu meinem Haus gefunden hatte. Sein Oheim hatte ihn hergeschickt, um mich über
das Verschwinden, den Verbleib des Fein Efendi auszuhorchen. Aber nicht nur
das; er brachte

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