Pamuk, Orhan
den Brief
gelesen hatte, begann er noch einmal von vorn.
»Ja«, sagte ich, »was schreibt er
denn?«
Und Hasan las:
»Liebe Frau Şeküre, da auch ich jahrelang mit der Vorstellung
von einem einzigen Menschen gelebt habe, verstehe und würdige ich es, daß Du
auf Deinen Ehemann wartest und an niemand anders als nur an ihn denkst. Was
könnte man von einer Frau wie Dir anders erwarten als Aufrichtigkeit und
Tugend! (Hasan lachte laut heraus!) Doch heißt es nicht, Dich zu
bedrängen, wenn ich Deinen Vater der Buchmalerei wegen aufsuche. So etwas
würde mir niemals einfallen. Ich würde nie behaupten, von Dir ein Zeichen oder
gar eine Ermutigung erhalten zu haben. Als mir Dein
Antlitz wie ein reines Licht am Fenster erschien, kam mir nichts anderes in den
Sinn, als darin nur eine mir von Allah
erwiesene Gnade zu erkennen. Der Anblick Deiner Züge genügt, um mich glücklich
zu machen. (»Das
hat er Nizami entwendet!« war Hasans erboster Einwurf.) Aber wenn Du schon verlangst, ich
soll Dir fernbleiben, dann sage, bist Du ein Engel, daß man Furcht empfinden
muß, so man Dir nahe kommt? Hör mir zu und laß Dir sagen: Während ich in den
Nächten aus den Fenstern weitabgelegener, verwünschter Karawansereien, die
außer dem vergrämten Wirt nur noch vor dem Henker flüchtende Räuber
beherbergen, auf die nackten Berge und das sich dort brechende Mondlicht
schaute, dem Heulen der Wölfe lauschte, die noch einsamer und schlimmer dran
waren als ich, und den Schlaf suchte, da dachte ich stets, ich würde Dich
plötzlich eines Tages vor mir sehen, genauso, wie Du mir an jenem Fenster erschienen
bist. Höre: Jetzt, da ich um des Buches willen wieder Deinen Vater aufsuche,
gibst Du mir das Bild zurück, das ich in der Kindheit gemalt habe. Ich weiß,
es ist für mich das Zeichen, daß ich Dich wiedergefunden habe. Nicht das des
Todes. Mir ist einer Deiner Söhne begegnet, Orhan. Armes Waisenkind. Ich werde
sein Vater werden!«
»Großartig, gut geschrieben«, sagte ich. »Er
ist zum Dichter geworden.«
»Bist Du ein Engel, daß man Furcht
empfinden muß, so man Dir nahe kommt«, sagte Hasan. »Diesen Ausspruch hat er
von Ibn Zerhani gestohlen. Ich schreibe besser.« Und er holte seinen eigenen
Brief aus der Tasche. »Nimm ihn und bring ihn zu Şeküre.«
Zum erstenmal störte mich das Geld,
das er mir zusammen mit den Briefen gab. Ich fühlte etwas wie Abscheu gegen die
wahnwitzige Leidenschaft dieses Mannes, diese unerwiderte Liebe. Als wolle er
meine Gefühle bestätigen, ließ Hasan seine gute Manieren zum erstenmal seit
langem beiseite und äußerte grob: »Sag ihr, wir können sie durch den Kadi
hierherbringen lassen, wenn wir wollen.«
»Soll ich das wirklich sagen?«
Es war still. »Sag's nicht«, meinte
er. Das Licht der Lampe im Zimmer traf sein Gesicht, und ich sah, daß er wie
ein schuldbewußtes Kind vor sich hin blickte. Weil ich diese Zustände kenne,
achte ich die Liebe und überbringe die Briefe. Nicht des Geldes wegen, wie man
glaubt.
Ich schickte mich an, aus dem Haus
zu gehen, als Hasan mich an der Tür aufhielt.
»Sagst du Şeküre, wie sehr ich
sie liebe?« fragte er aufgeregt und töricht.
»Schreibst du ihr das nicht in
deinen Briefen?«
»Sag mir, wie nur kann ich sie und
ihren Vater überzeugen?«
»Indem du ein guter Mensch wirst«,
gab ich zurück und ging zur Tür.
»Jetzt noch, in diesem Alter ...«
sagte er schmerzerfüllt.
»Du hast doch angefangen, viel Geld
zu verdienen, Amtsdiener Hasan. Das macht den Menschen gut«, sagte ich noch und
ging hinaus.
Das Innere des Hauses ist so dunkel
und bedrückend, daß mir draußen vorkam, als sei es wärmer geworden. Die Sonne
schien mir ins Gesicht. Ich dachte, daß ich Şeküres Glück wollte. Doch auf
eine gewisse Art achte ich den armen Kerl in seinem feuchtkalten, dunklen
Haus. Ungewollt trieb's mich plötzlich zu einem Umweg auf den Gewürzmarkt in
Laleli, weil ich meinte, inmitten der Düfte von Zimt, Safran und Pfeffer mich
wieder erholen zu können, doch das war ein Irrtum.
Nachdem ich Şeküre die Briefe
im Haus übergeben hatte, fragte sie mich sofort nach Kara. Er sei ganz und gar
vom Feuer der Liebe ergriffen, sagte ich, und das hörte sie gern.
Dann sprach ich von einer anderen
Sache: »Alle, auch die zu Hause strickenden Weiber reden darüber, warum man den
armen Fein Efendi wohl umgebracht hat.«
»Hayriye«, sagte Şeküre,
»bereite eine Halwa zu und bring sie Kalbiye, der Frau des armen Fein Efendi.«
»All die
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