Pamuk, Orhan
der Todesengel Tausende von Flügeln hatte, die
vom Paradies bis zur Erde und vom äußersten Ende im Osten bis zum äußersten
Ende im Westen reichten, und daß diese Flügel die wahrhaft Gläubigen umfingen,
für jeden Sünder und Aufrührer aber wie je ein brennender Nagel seien, und er
malte mich mit Nägeln bedeckt, denn die meisten unter euch Illustratoren sind
reif für die Hölle. Und der Maler hörte, in den Händen des Engels, den Allah
entsenden wird, um euch das Leben zu nehmen, werde sich ein Heft befinden mit
euer aller Namen darin verzeichnet, und manche Namen auf den Seiten seien
schwarz umrandet, doch nur Allah wisse die Todesstunde, und wenn sie komme,
falle ein Blatt vom Baum unter dem Himmelsthron, und wer dieses Blatt ergreife
und lesen könne, der wisse, wem die Stunde schlage, und aus diesem Grund hat mich
der Meister wohl als Schreckensbild gemalt, dennoch aber sinnend wie jemand,
der denkend zu handeln weiß. Und weil der schrullige Alte vorlas, daß sich
plötzlich ein den Strahlen der Sonne gleichendes Licht ausbreiten würde,
nachdem der Todesengel in Menschengewand die Hand ausgestreckt und das Leben,
dessen Frist erfüllt war, genommen hatte, zeichnete mich der kluge Illustrator
von Licht umgeben, wußte er doch, dieses Licht würde für die, welche sich bei
dem Toten befanden, nicht sichtbar sein. Und weil der eifernde Greis aus dem Buch
der Seele auch die Zeugnisse der Grabräuber von den hie und da mit Nägeln
gespickten Leichen, von den Flammen, die beim Graben den Platz frisch
Verstorbener anzeigten, und von bleigefüllten Schädeln vorlas, zeichnete der ihm
voller Aufmerksamkeit lauschende, wunderbare Illustrator alles in mein
Konterfei hinein, was dem Betrachter Furcht einflößen würde.
Doch später bereute er, was er getan
hatte. Nicht das Entsetzen, welches er in das Bild hineingelegt, sondern daß er
es überhaupt gemalt hatte. Auch ich fühle mich wie einer, dessen Vater ihn
voll Scham behandelt. Warum aber hat es der Altmeister mit den Wunderhänden
bereut, mich gemalt zu haben?
1. Weil ich, das Bild des Todes, nicht mit der rechten
Meisterschaft gemalt worden bin. Wie ihr seht, gleicht meine Machart weder der
Vollkommenheit der großen venezianischen Meister noch jener der alten Meister
von Herat. Ich schäme mich ebenfalls für diesen schäbigen Zustand, den der
große Altmeister, der mich schuf, der Würde des Todes nicht anzupassen wußte.
2. Der Meisterillustrator, den der
Alte auf so diabolische Art verführt hatte, erkannte sich plötzlich als einen,
der gedankenlos die Methoden und Vorstellungen der fränkischen Meister
imitierte, es nagte an seiner Seele, daß er die alten Meister zu mißachten
schien, und gab ihm zum erstenmal das Gefühl, ehrlos zu sein.
3. Einigen Eseln,
die sich hier langsam an mich gewöhnen und über mich lächeln, sei gesagt: Mit
dem Tod ist nicht zu spaßen!
Nunmehr soll der Illustrator, der mich
schuf, des Nachts von Reue erfüllt unaufhörlich durch die Straßen laufen und
genauso wie manche chinesischen Meister glauben, er sei selbst, was er gemalt
hat.
25
Mein Name ist Ester
In den Vierteln Kızılminare und Karakedi
hatten die Frauen purpurfarbene und rote Dolmane aus Bilecik für Steppdecken
bestellt, und ich steckte sie frühmorgens in mein Bündel. Von der Chinaseide,
die gerade mit dem Schiff der Portugiesen eingetroffen war, ließ ich die grüne
Sorte beiseite und packte die hellblaue ein. Es liegt immer noch Schnee, der
Winter ist endlos, also tat ich, alles schön gefaltet, haufenweise Strümpfe,
Schärpen und dicke bunte Westen aus Wolle dazwischen, damit auch einer gänzlich
gleichgültigen Frau das Herz im Leibe hüpfte, wenn ich mein Bündel öffnete.
Dann legte ich noch für jene, die mich nicht zum Kaufen, sondern zum Klatschen
zu sich riefen, leichte, aber teure Seidentaschentücher, Geldbörsen und
bestickte Beutel fürs Hamam bei und hob das Bündel auf, doch ach, es war zu
schwer geworden, würde mir das Kreuz brechen. Ich legte es zu Boden, öffnete es
und wollte nachschauen, was ich herausnehmen könnte, da klopfte es an der Tür.
Nesim öffnete und rief nach mir.
Vor der Tür Hayriye, hochrot im
Gesicht, einen Brief in der Hand.
»Frau Şeküre schickt ihn«,
flüsterte sie und war so aufgeregt, daß man meinen konnte, sie selbst sei die
Verliebte, die heiraten wollte.
Mit tiefernster Miene nahm ich den
Brief entgegen und trug dem törichten Mädchen auf, nach Hause zu gehen und sich
von niemandem sehen
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