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Pamuk, Orhan

Pamuk, Orhan

Titel: Pamuk, Orhan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rot ist mein Name
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bringt Ester, der Ehevermittlerin,
gutes Geld ein, die Eifersucht der Nebenbuhler in einer solchen Lage zu
schüren. Doch ich fürchtete einen plötzlichen Zornesausbruch.
    »Da ist dieser tatarische Bettler an
der Straßenecke«, sagte ich im Hinausgehen, »er ist sehr unanständig.«
    Ich ging auf die andere
Straßenseite, um nicht mit dem Blinden in Streit zu geraten, und spazierte in
dieser Morgenfrühe über den Hühnermarkt. Warum ißt das Moslemvolk nicht den
Kopf und die Beine der Hühner? Weil es sonderbare Leute sind! Meine Großmutter,
möge sie in Frieden ruhen, hat mir oft erzählt, daß sie Hühnerbeine in Hülle
und Fülle gekocht hat, als sie aus Portugal hierherkam, weil die billig waren.
    Bei Kemeraralığı sah ich eine Frau auf einem Pferd,
sie saß aufrecht wie ein Mann, hatte ihre Sklaven dabei und war mächtig stolz,
vielleicht die Frau eines Paschas oder eines reichen Mannes Tochter, wer weiß,
und ich seufzte. Wenn sich ihr Vater nicht gänzlich den Büchern verschrieben
hätte und nicht mit dem Kopf in den Wolken schweben würde und wenn ihr Ehemann
aus den Safawiden-Kriegen mit Beutegut heimgekehrt wäre, könnte Şeküre
leben wie diese stolze Frau. Das stand ihr mehr als jeder anderen zu.
    Als ich in Karas Straße einbog,
schlug mein Herz auf einmal rascher. Wollte ich, daß Şeküre diesen
Burschen zum Mann nahm? Es war mir gelungen, sowohl die Verbindung zwischen Şeküre
und Hasan weiterbestehen zu lassen als auch sie von ihm fernzuhalten, aber
dieser Kara? Alles war in bester Ordnung, außer seiner Liebe zu Şeküre.
    »Die Hausiereriiin!«
    Um nichts in der Welt tausche ich
das Glücksgefühl, wenn ich den vom Alleinsein, vom frauen- oder männerlosen
Leben närrisch gewordenen Verliebten einen Brief in die Hand drücke. Selbst
wenn sie sicher sind, die schlechteste Nachricht zu erhalten, regt sich gerade
in jenem Augenblick, ehe sie mit dem Lesen beginnen, in jedem von ihnen eine
Hoffnung.
    Kara hatte natürlich berechtigte
Hoffnungen, weil Şeküre nicht von einer Rückkehr ihres Ehemannes
gesprochen und das Wort »Hege keine Hoffnungen« mit einer Bedingung
verknüpft hatte. Ich beobachtete mit Vergnügen, wie er den Brief las. Er war
ganz aus dem Häuschen vor Freude, ja er bekam sogar Angst. Während er sich
zurückzog, um eine Antwort aufzusetzen, öffnete ich, wie es einer klugen
Hausiererin ansteht, mein trügerisches Bündel, holte einen schwarzen Geldbeutel
hervor und zeigte ihn Karas neugieriger Hausbesitzerin.
    »Er ist aus bestem persischem Samt
gemacht«, versicherte ich.
    »Mein Sohn ist im Perserkrieg
umgekommen«, sagte sie. »Wessen Briefe trägst du für Kara hierher?«
    Es stand ihr ohnehin im Gesicht
geschrieben, daß sie am Pläneschmieden war, um den stattlichen Kara mit ihrer
eigenen unan sehnlichen Tochter oder auch der Tochter irgendwelcher anderer
Leute zu verkuppeln. »Sie stammen von irgendeinem Mann«, sagte ich, »einem
armen Verwandten, der in der Herberge von Bayrampaşa mit dem Tode ringt und Geld erbittet.«
    »Oje, oje«, sagte sie ungläubig.
»Wer ist der Unselige?«
    »Wie ist dein Sohn im Krieg
umgekommen?« fragte ich dickköpfig.
    Wir begannen, uns feindliche Blicke
zuzuwerfen. Eine Witwe, eine vereinsamte Frau, wie schwer doch das Leben war!
Wenn ihr eine Ester seid, eine hausierende Briefbotin, dann erkennt ihr, daß im
Leben nur Reichtum, Macht und wie aus dem Märchen entsprungene unglaubliche
Liebesgeschichten die Wißbegier der Menschen erwecken. Der Rest sind Kummer,
Trennungen, Eifersüchteleien, Einsamkeit, Feindschaften, Tränen, Klatsch und
eine unendliche Armut, die sich immer gleichen, genau wie die Gegenstände hier
im Haus: ein alter, ausgeblichener Kelim, eine Schöpfkelle und eine
Kupferschüssel auf einem Pastetenblech, Zange und Aschenkasten neben dem Herd,
zwei abgenutzte Truhen, eine groß, eine klein, ein noch immer in Ehren
gehaltener Turbanständer, der verbergen soll, daß hier eine Witwe allein lebt,
und ein altes Schwert, um Diebe abzuschrecken.
    Außer sich vor Freude kam Kara mit
einer Geldbörse zurück. »Hausiererin«, sagte er, weniger für mich als für seine
neugierige Hauswirtin bestimmt, »nimm das und bring's dem armen Kranken. Wenn's
eine Antwort gibt, erwarte ich sie sofort. Später bin ich den ganzen Tag beim
Oheim.«
    Dieses ganze Spiel war überflüssig.
Ein so junger Held wie Kara hat doch nichts zu verbergen, wenn er sich ein
Mädchen sucht und Zeichen empfängt, Tüchlein und Briefe schickt? Oder

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