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Pamuk, Orhan

Pamuk, Orhan

Titel: Pamuk, Orhan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rot ist mein Name
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den
dunklen Augen und den breiten Schultern ähnelt er nicht seinem Vater, sondern mir.
Manchmal habe ich Schuldgefühle, weil ich keinem meiner beiden rundköpfigen
Söhne die breite und hohe Stirn ihres Vaters weitergeben konnte.
    »Nun geh und spiel mit deinem Bruder
Schwertgefecht!«
    »Mit Vaters altem Schwert?«
    »Ja.«
    Während ich horchte, wie die Kinder
mit dem Schwert und einem Brett klapperten, schaute ich eine Zeitlang zur Decke
und versuchte, die Furcht und Sorge zu unterdrücken, die in mir aufstiegen.
Ich ging zur Küche hinunter und sagte zu Hayriye: »Mein Vater möchte schon seit
langer Zeit wieder einmal Fischsuppe essen. Ich werde dich deswegen vielleicht
nach Kadirga schicken. Hol ein paar von den Obstfladen aus deinem Vorrat, die Şevket
so mag, und gib sie den Kindern.«
    Während Şevket in der Küche die
süßen Fladen verschlang, ging ich mit Orhan nach oben, nahm ihn auf meinen
Schoß und küßte seinen Hals.
    »Du bist verschwitzt«, sagte ich.
»Wie ist denn das hier geschehen?«
    »Şevket hat mich, wie er sagt,
mit dem roten Schwert des Onkels getroffen.«
    »Ein blaues Mal«, sagte ich und
berührte die Stelle. »Tut es weh? Wie rücksichtslos von Şevket! Schau, ich
werde dir etwas sagen. Du bist klug und feinfühlig. Ich will dich um etwas
bitten. Tust du's, dann werde ich niemandem anderem als dir, auch Şevket
nicht, ein Geheimnis verraten.«
    »Was?«
    »Siehst du das Papier? Du gehst zu
Großvater hinein. Ohne es zu zeigen, steckst du es Kara Efendi in die Hand.
Hast du verstanden?« »Ja, verstanden.«
    »Tust du's?«
    »Was für ein Geheimnis verrätst du
mir?«
    »Bring du das Papier hin«, sagte ich
und küßte noch einmal sei nen zart duftenden Hals. Übrigens, zarter Duft – wie
lange schon ist es her, seit Hayriye die Kinder zuletzt ins Hamam gebracht.
hat? Seit Şevkets Ding begann, sich vor den Frauen im Hamam zu erheben,
waren sie nicht mehr dort. »Das Geheimnis verrate ich dir später.« Ich küßte
ihn. »Du bist sehr klug und sehr gut. Şevket ist aufsässig. Er hebt sogar
die Hand gegen seine Mutter.«
    »Ich werd's nicht hinbringen«,
erklärte er. »Ich fürchte mich vor Kara Efendi. Er hat meinen Vater getötet.«
    »Das hat dir Şevket gesagt,
nicht wahr?« fragte ich. »Schnell, geh nach unten und hol ihn her!«
    Er sah die Entrüstung auf meinem
Gesicht, rutschte verängstigt von meinem Schoß und lief nach unten. Vielleicht
war es ihm auch durchaus recht, daß Şevket die Sache auszubaden haben
würde. Kurz darauf kamen sie beide mit roten Gesichtern herauf, Şevket mit
einem Obstfladen in einer Hand und dem Schwert in der anderen.
    »Du hast deinem Bruder erzählt, Kara
Efendi hätte euren Vater ermordet«, sagte ich. »So etwas wird in diesem Haus
nicht noch einmal gesagt. Ihr werdet Kara Efendi lieben, werdet ihn achten.
Ist das klar? Ihr könnt nicht euer Leben lang ohne Vater bleiben!«
    »Den will ich nicht. Ich gehe in
unser Haus zurück, zu Onkel Hasan, dort warte ich auf meinen Vater!« erklärte
Şevket bockig.
    Das brachte mich so auf, daß ich ihm
eine Ohrfeige gab. Er hatte das Schwert nicht losgelassen. Nun fiel's ihm aus
der Hand.
    »Ich will meinen Vater«, sagte er
weinend.
    Doch ich weinte noch heftiger als
er.
    »Euren Vater gibt es nicht mehr, er
wird nicht zurückkommen«, erklärte ich unter Tränen. »Ihr seid vaterlos, habt
ihr verstanden, ihr Bengel?« Ich weinte so heftig, daß ich fürchtete, sie
könnten es drinnen hören.
    »Wir sind keine Bengel«, jammerte Şevket.
    Wir weinten lange, weinten heiße
Tränen. Nach einer Weile spürte ich, daß ich weinte, weil mein Herz dadurch
weicher und ich ein besserer Mensch wurde. Wir umarmten uns alle drei und
streckten uns auf dem Bett aus. Şevket hatte seinen Kopf tief zwischen
meinen Brüsten vergraben. Manchmal merke ich, wenn er sich so fest an mich
schmiegt, als klebe er an mir, daß er gar nicht schläft. Vielleicht aber konnte
ich jetzt mit ihnen einschlafen, doch meine Gedanken waren unten. Ein süßer
Duft von gekochten Bitterorangen kam herauf. Plötzlich schreckte ich so
geräuschvoll hoch, daß die Kinder erwachten: »Geht nach unten, Hayriye soll
euch zu essen geben.«
    Ich blieb allein im Zimmer. Es hatte
zu schneien begonnen. Ich flehte Allah um Hilfe an, schlug den Koran auf und
las noch einmal in der Sure Ali Imran, wie die Anhänger Allahs zu Ihm eingehen,
wenn sie im Krieg getötet werden, und ich fand darin Trost für meinen seligen
Ehemann. Hatte mein Vater Kara

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