Pandaemonia 01 - Der letzte Traumwanderer
für Liam, trotzdem ärgerte er sich jedes Mal aufs Neue darüber. »Darum geht’s doch gar nicht«, sagte er ungehalten. »Du bleibst nächtelang fort, und ich muss mich um alles kümmern. Ich dachte, wir machen das hier gemeinsam!«
Endlich ließ sein Vater von den Papieren ab und sah ihn an. »Wie viele hast du rausgeholt?«
»Neunzehn Blitze und ein bisschen Elmsfeuer.«
»Ordentlich, ordentlich. Hast du sie schon verkauft?«
Liam seufzte. »Wie denn, Vater? Das Gewitter war erst letzte Nacht.«
»Ach ja, richtig.«
»Sie sind noch oben. Ich war gestern zu müde, um sie nach unten zu bringen. Willst du sie sehen?«
»Später«, meinte Fellyn. »Lass mich erst meine Notizen finden.«
Liam hätte schreien mögen. Dann fiel ihm auf, wie angespannt sein Vater war. Er schien vor Nervosität regelrecht zu vibrieren. »Willst du mir nicht sagen, wo du letzte Nacht warst?«
»Ich sagte doch, ich hatte zu tun.«
Antworten wie diese hörte Liam seit Monaten. Er war nicht länger bereit, sich damit abspeisen zu lassen. Nicht, wenn er allein dafür sorgte, dass regelmäßig Geld hereinkam. »Jetzt hör mir mal zu«, begann er ärgerlich. Doch als er zum Tisch trat, verstummte er. Durch das Fenster neben der Tür sah er drei Gestalten den Hügel heraufkommen: zwei Spiegelmänner und
Corvas. »Was wollen die denn hier?«, murmelte er mit einem Anflug von Unbehagen.
Sein Vater hob den Kopf - und erbleichte. »Der Himmel sei uns gnädig«, hauchte er.
»Was soll das heißen?«, fragte Liam alarmiert. »Sind die etwa auf dem Weg zu uns ?«
»Sie müssen irgendwie auf mich aufmerksam geworden sein.«
»Wann denn?«
Sein Vater zerriss ein Stück Papier in kleine Fetzen, die er in den Papierkorb warf. Mit einem gehetzten Blick aus dem Fenster kam er hinter dem Tisch hervor. »Heute Morgen. Bei meinen Nachforschungen. Und ich dachte, ich wäre vorsichtig gewesen!«
»Was denn für Nachforschungen? Erklär mir endlich, was hier los ist!«
»Ich fürchte, ich bin zu weit gegangen.«
»Wobei?« Liams Verwirrung verwandelte sich in Angst, als er sah, dass Corvas und die beiden Spiegelmänner zielstrebig auf die Sternwarte zukamen. »Wobei zu weit gegangen?«
Fellyn packte ihn an den Schultern und sah ihm in die Augen. »Hör mir jetzt gut zu: Wenn mir etwas zustößt, musst du zu Nestor Quindal gehen, dem Erfinder …«
»Was soll das heißen, wenn dir etwas zustößt?«
»Zuhören, nicht fragen«, befahl sein Vater. »Bitte Quindal, das Gelbe Buch von Yaro D’ar zu beschaffen. Es gibt davon nur ein Exemplar. Lady Sarka besitzt es. Hast du das verstanden?«
»J-ja«, stammelte Liam. »Aber warum …«
»Wiederhole, was ich gesagt habe.«
»Ich soll zu Nestor Quindal gehen und ihn bitten, das Gelbe Buch von Yaro D’ar zu beschaffen. Von der Lady.«
»Gut. Und jetzt versteck dich im Geheimraum. Ich versuche, Corvas irgendwie abzuwimmeln.«
Sein Vater ließ ihn los, doch Liam war nicht fähig, sich zu bewegen.
»Bitte, Liam! Das ist kein Spaß.«
Erst als Liam die nackte Angst in den Augen seines Vaters sah, überwand er seine Erstarrung. Er hastete zur Aussparung unter der Treppe und drückte auf einen Ziegelstein, woraufhin ein quadratisches Mauersegment aufschwang. Liam schlüpfte hinein und zog die verborgene Klappe von innen zu - keine Sekunde zu früh, denn im selben Moment klopfte es.
Mit eingezogenem Kopf kauerte er in der muffigen Kammer. Durch eine Ritze in den Mauerfugen konnte er beobachten, wie sein Vater die Tür öffnete.
»Fellyn Satander?«, fragte Corvas.
»Der bin ich.«
Der bleiche Mann gab den beiden Spiegelmännern einen Wink, woraufhin sie in die Sternwarte eindrangen und Liams Vater festhielten, während Corvas ihnen folgte und die Tür hinter sich schloss.
»Was soll das? Was wollt ihr von mir?«
»Du stehst im Verdacht, in gewisse Aktivitäten verwickelt zu sein.«
»Welche denn?«
»Eine Verschwörung zum Schaden der Stadt.«
Liam glaubte, sich verhört zu haben. Sein Vater und eine Verschwörung? Angestrengt starrte er durch den Mauerschlitz und fürchtete dabei, das heftige Pochen seines Herzens könnte ihn verraten.
»Das ist doch lächerlich«, sagte sein Vater barsch. »Ich habe mir nichts vorzuwerfen. Lasst mich verdammt noch mal los!«
Mit einem Handzeichen befahl Corvas den Spiegelmännern, von ihm abzulassen. Liams Vater rieb sich die schmerzenden Arme und bedachte die Eindringlinge mit einem finsteren Blick.
Corvas schritt durch den Raum und betrachtete mit
Weitere Kostenlose Bücher