Pandaemonia 01 - Der letzte Traumwanderer
Folianten zu durchsuchen, von dem er nicht einmal wusste, wie er aussah. Nein, besser er hielt sich an den einzigen Hinweis, den er hatte. Er musste versuchen, in Lady Sarkas Bibliothek hineinzukommen.
Nur wie? Solange die beiden Spiegelmänner nicht verschwanden, war die Tür unerreichbar für ihn.
Er stand kurz davor umzukehren, überlegte es sich dann jedoch anders. Jetzt schon aufzugeben kam nicht infrage. Das schuldete er seinem Vater.
Nimm dir ein Beispiel an ihm. Er war hartnäckig. Anderthalb Jahre hat er seine Nachforschungen betrieben. Glaubst du, er musste währenddessen nie einen Rückschlag hinnehmen?
Ein schmerzhafter Gedanke schob sich Liam ins Bewusstsein: Und wohin hat ihn seine Beharrlichkeit am Ende geführt?
Er kämpfte die aufwallende Trauer nieder und zwang sich, noch einmal über seine Situation nachzudenken. Quindal hatte zugegeben, dass er nur wenig über den Palast wusste. Was, wenn er sich irrte? Wenn der Kuppelsaal noch einen weiteren Eingang besaß? Womöglich einen weniger gut bewachten? Bei der Größe des Gebäudes hielt Liam dies nicht für ausgeschlossen.
So leise, wie er gekommen war, machte er kehrt und ging zum Bankettsaal zurück. Da er das Erdgeschoss inzwischen einigermaßen kannte, beschloss er, in den oberen Stockwerken zu suchen. Dort war er allerdings noch nie gewesen, weshalb er noch vorsichtiger und aufmerksamer sein musste. Vor allem tat er gut daran, sich die Lage der Flure und Zimmer genau einzuprägen, damit er später wieder zurückfand.
Er kam in einen Trakt, der genauso still und menschenleer zu sein schien wie die meisten Teile des Anwesens. Es roch sogar verlassen: staubig, nach altem Holz und ersten Anzeichen von Moder. Liam versuchte sich nur an jenen Türen, von denen er glaubte, dass die Flure und Zimmer dahinter an den Kuppelsaal angrenzten. Keine Einzige war verschlossen, sie knarrten nicht einmal, was ihn jedes Mal aufs Neue überraschte. Ölte etwa jemand die Angeln dieser Türen, obwohl niemand sie je öffnete?
Einige der Räumlichkeiten, die er betrat, waren vollkommen leer. Andere enthielten alte Möbel, von einer dicken Staubschicht bedeckt. Wieder andere ein unübersichtliches Durcheinander aus aufeinandergestapelten Stühlen, Tischen, Truhen und Schränken, verborgen unter zerschlissenen Laken, die Liam unwillkürlich an Leichentücher erinnerten - doch nirgendwo fand er einen Zugang zum Kuppelsaal.
Nachdem er sicher war, dass er den Trakt vollständig abgesucht hatte, folgte er einem Gang zur anderen Seite des Anwesens und kam zu einer Tür. Als er sie öffnete, sah er im Schein des Mondlichtes, das durch ein nahes Fenster fiel, dass das Holz mit einer Schnitzerei versehen war: Sie stellte einen Basilisken dar und glich dem Relief, das er im Keller des alten Labors gefunden hatte.
Vorsichtig trat er auf eine Galerie mit eisernem Geländer und blickte in einen großen Raum hinab. Der Geruch, der ihm in die Nase stieg, war sehr schwach, aber überaus unangenehm. Es roch nach Kot, Schweiß und Erbrochenem - und nach Blut. Gebilde hingen an schweren Ketten von den Deckenbalken. Sein Mund wurde trocken vor Furcht, als er Rippenkästen und Schädel zu erkennen meinte. Skelette? Nein, Käfige. Manche waren der Form des menschlichen Körpers angepasst, doch es gab auch andere, kastenartige, mit dornenbewehrten Stangen.
Am Rande seines Blickfelds bemerkte er plötzlich eine Bewegung, ein Huschen in der Dunkelheit. Liam fuhr herum und horchte angestrengt. Nichts. Nur das Pochen seines Herzens. Vielleicht hatte er sich alles nur eingebildet. So angespannt, wie er war, wäre das kein Wunder.
Der nächste Raum war kleiner und enthielt einen steinernen Ofen sowie einen Tisch voller Apparaturen, deren Glasröhren und -kolben im Sternenlicht wie geschliffener Obsidian schimmerten. Eine alchymistische Küche. Allerdings sah sie
nicht aus, als wäre sie noch in Gebrauch, wenngleich die absonderlichen Gerätschaften nach wie vor seltsame Düfte verströmten, schweflige, faulige und ganz und gar fremdartige.
Schaudernd dachte er an die Käfige im Nebenraum - Käfige in Menschenform . Er wagte sich nicht vorzustellen, welcher Art die Experimente gewesen waren, die einst hier stattgefunden hatten. Er konnte nur hoffen, dass diese Räumlichkeiten Relikte aus alter Zeit waren und nichts mit Lady Sarka zu tun hatten.
Ein Krächzen ließ ihn aufschrecken. Ein Oberlicht des Labors stand offen, auf dem Fensterrahmen hockte eine Krähe. Blitzschnell ging Liam
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